Fangberichte Weihnachtsbraten
Weihnachten in Indien. Ganz ehrlich, ich konnte mir damals etwas Schöneres vorstellen. Ich erwachte am Morgen des 24.12, unter meinem Moskitonetz und horchte in mich hinein, ob sich irgendwelche weihnachtlichen Glocken in mir rührten. Doch nix. Ich wußte, daß es ein Fehler sein würde, jetzt an zu Hause zu denken. Daran, wie der Baum geschmückt wird, die Ente mit Äpfeln gefüllt in den Ofen geschoben wird, und die Weihnachtsplatten endlos dudeln. Ich tat es trotzdem und wurde dann auch prompt von einem zentnerschweren Heimwehblues erwischt. Und das, in einer Palmenhütte in Goa.
Draußen vor meiner Tür erwartete mich der Weihnachtsmorgen mit satten 30 Grad im Schatten. Was hätte ich jetzt dafür gegeben, den Palmenstrand gegen die heimatliche Badewanne einzutauschen.
Tom und ich kamen schließlich noch am Morgen überein, daß wir versuchen sollten, das Beste aus der Situation zu machen. Ein akutes Weihnachtsnotprogramm wurde eingeleitet. Wir klopften an die Hütten unserer Schweizer Freunde, die wir von zu Hause kannten, und mit denen wir uns hier verabredet hatten, und luden sie zu der eben von uns ins Leben gerufenen Weihnachtsfeier am Strand ein. Die Planung umfasste einen Braten, einen Baum und Musik. Wir warfen fest entschlossen unsere Maschinen an, und fuhren zum Markt, um erstmal einen Braten zu besorgen. Das stellte sich allerdings schon als ein gewaltiges Problem heraus. Von Gänse oder Entenbraten habe ich ja schon gar nicht zu träumen gewagt. Rind, das wusste ich, scheidet im hinduistischen Indien von vornherein aus.
Es blieb also nur Huhn, Schwein oder Lamm. Die Wahl wurde uns dann aber völlig überraschend abgenommen, da der Fleischmarkt aufgrund der Hitze bereits sehr früh geschlossen hatte. Alles was wir noch sahen, waren die Gemüse- und üblichen Schmuckstände. Mein Heimwehblues setzte wieder ein, nur diesmal eine Tonart tiefer und in düsterem Moll.
Die Lösung lag auf der Hand. Fisch ! Aber woher nehmen?
Es blieb uns wohl nur das Vertrauen in Tom‘s Handangel. So kauften wir uns etwas Brot als Köder und knatterten zum Hafen. Das dort Erlebte läßt sich wie folgt kurz zusammenfassen. Angel raus, Köder rein, Nichts gebissen, Blues in Moll, Fischer kommt, Leinen los und ab geht die Lucie. Ich genoss es auch dieses Mal, trotz Weihnachten, oder vielleicht gerade deswegen, mit dem Fischer rauszufahren. Eigentlich war Weihnachten schon gerettet, wäre da nicht die groß angekündigte Weihnachtsfeier mit Braten gewesen. Versprochen ist versprochen.
Ich sah alle unsere Felle bzw. unseren Braten mit dem auslaufenden Boot davonschwimmen. Das Angeln unter Erfolgsdruck ist eine unangenehme und riskante Sache. Zwar hatte uns der Fischer wieder mal vollmundig „Big Fish“ versprochen, doch war ich inzwischen vorsichtig geworden. Meine Befürchtung war, dass wir einen Nachmittag lang vergeblich den Ozean durchkreuzen und dann am Abend weder mit Braten noch mit Weihnachtsfisch dastanden. Meine Hoffnungen konzentrierten sich eigentlich auf genügend „Snapper“ oder einen stattlichen Octopus. Zumindest wäre das origineller, als eine fette Gans. Das Boot hielt keinen Kilometer von der Hafeneinfahrt entfernt an. Unter uns konnten wir sehen, daß das Wasser abrupt von dunkelblau nach hellgrün wechselte. Eine Riffkante also. Unser Käpten zeigte auf eine Kiste mit Dynamit. Ich zuckte kurz zusammen. Will der hier tatsächlich mit Sprengstoff am Riff hantieren?
Als der Käpten meine sorgenvollen Blicke sah, fing er an zu lachen. „Nein, nein“ beruhigte er mich, „Das Dynamit ist nur für die Nacht“. Am Tag sei das hier, laut seinen Aussagen, wegen der Küstenwache viel zu gefährlich.“ Na, da war ich ja beruhigt. Auch wenn wir mit dem Braten erheblich unter Zugzwang standen, ess ich an Weihnachten eher Müsli, als dass ich mich dazu überreden lasse, Fische in die Luft zu sprengen. Unser Sprengstoffexperte teilte 6 Angeln aus, für jede Hand an Bord eine.
Wir bestückten alle Leinen mit Köderfischen und ließen uns damit die Riffkante runtertreiben. Die Größe der Köderfische, ließ darauf schliessen, dass es hier eindeutig nicht um „Snapper“ ging. Mir war inzwischen egal, welche Fische sich an den Haken verirrten, nur sollten sie „schnell“ machen. Die Sonne stand schon bedenklich hoch. „Kommt schon“ brabbelte ich immer wieder vor mich hin, „nur dies eine Mal“.
In Gedanken schlug ich den Fischen dieser Erden immer wieder neue Deals vor. Letztlich war ich sogar so weit, dass ich damit einverstanden war, im kommenden Jahr 5 Angeltouren ohne Fisch zu beenden, wenn nur heute möglichst schnell einer beißen würde. Und dann, wir hatten vielleicht alles in allem gerade mal 5 Minuten geangelt, passierte es: Ein gewaltiger Biß riß Tom beinahe die Sehne aus der Hand. Er war fest entschlossen, den sich gerade anmeldenden Weihnachtsbraten nicht entkommen zu lassen und zog mit aller Kraft an der Schnur. Zwar bewegte sich sein Gegenüber keinen Zentimeter, doch konnte man meinem Freund und Cousin ansehen, dass die deutlichen dumpfen kraftvollen Fluchtversuche am anderen Ende der Schnur, ein Probleme darstellten. Von wilden zügellosen Fluchten konnte eigentlich keine Rede sein. Der Fisch hing am anderen Ende eher wie ein nasser Sack, doch hatte es dieser Sack insich. Ein klassisches Patt.
Ich fasste mit an. Zusammen zerrten wir ihn Meter für Meter an die Oberfläche. Man ist in diesen Momenten eigentlich immer extrem gespannt, wen man am Ende zu Gesicht bekommt. In Indien hatten wir nun schon fast jede erdenkliche Form und Farbschattierung kennen gelernt, und spekulierten daher, während wir zogen, wild drauf los. Von „Ammenhai“ bis „Zitteraal“ war alles im Angebot.
Das was sich uns zeigte, war jedoch ein alter Bekannter von zu Hause, nur war der hier viel größer. Unter uns am Haken hing ein gigantischer Barsch. Mein erster ausgesprochener Gedanke war: „Der reicht für heute Abend“.
Völlig unspektakulär nahm unser explosiver Käpten das Gaff und zog ihn mit einem Schwung über Bord. Seiner Meinung nach handelte es sich bei unserem Fisch nicht um einen Barsch, sondern um einen Rockfisch, einem der besten Speisefische überhaupt.
Wenig später saßen wir zu dritt auf meinem Motorrad. Ich vorne, dann der Rockfisch und hinten Tom. Mit diesem Gespann brausten wir quer durch Goa, zurück zu unseren Palmenhütten. Unterwegs begegneten wir heiligen Kühen, braungebrannten motorradfahrenden Weihnachtsmännern und den allgegenwärtigen zugedröhnten Aussteigern. Alle schienen sich nur nach uns und dem gigantischen Rockfisch umzudrehen. Auf Wolke sieben fuhr ich genießerisch langsam durch Goa, legte ein paar Schlenker ein und hupte, falls uns irgendjemand am Straßenrand zu übersehen drohte. Kurz vor unserem Ziel, versperrte uns eine tanzende Hochzeitsgesellschaft den Weg. Als der Bräutigam den Fisch bemerkte, bestand er darauf, dass wir und der „Barsch“, zusammen mit ihm und seiner Braut auf das Hochzeitsphoto kommen.
So kam es, daß wahrscheinlich bis heute, auf dem Nachttisch irgend eines indischen Eheschlafzimmers, ein Bild von den Hochzeitsleuten, zusammen mit zwei bis über beide Ohren grinsenden Europäern und einem gewaltigen Barsch steht. Ich würde was dafür geben, einen Abzug von dem sicherlich kuriosestem Fangphoto aller Zeiten zu sehen.
Was dann folgte, kann ich als Fisch putzen, mit Gemüse stopfen, in Alufolie wickeln, zum Strand knattern, Feuer machen und Fisch hineinlegen zusammenfassen. Einer der Schweizer hatte eine Gitarre mitgebracht. Über uns senkte sich langsam die Nacht mit ihren südlichen Sternenbildern. Die Geräusche des Tages verstummten. Nur noch das knisternde Feuer, die Gitarre und die fröhlichen hell erleuchteten Gesichter meiner Freunde. Im Feuer brutzelte der Rockfisch. Weihnachten in Indien, etwas Schöneres konnte ich mir nun kaum mehr vorstellen. Ich dachte an Ram und an Barnabas und die gute Zeit die wir in Indien hatten. Ich dachte daran, welch Glück ich hatte, dass ich dieses Land bereisen durfte, dass alles mehr als nur glatt gegangen war, und dass sich das Leben gerade heute Abend wieder sehr für uns ins Zeug gelegt hat. Ich empfand tiefe Dankbarkeit in dieser wahrhaft heiligen Nacht. Die Geschichte vom Rockfisch mußte an diesem Abend noch mehrmals erzählt werde, und alle staunten immer wieder über den Zufall, daß der gigantische Rockfisch wie auf Bestellung gefangen wurde. Eigentlich ahnte ich es schon beim Fang des Fisches, aber jetzt wusste ich es plötzlich ganz sicher. An Weihnachten ist kein Platz für Zufälle. Weihnachten ist die Zeit, in der allein Geschenke gegeben werden.
Eine schöne Weihnacht und viele „Geschenke“
Tiger
P.S. Als Weihnachtsextra und für alle die noch nicht genug haben, hier ein „Wobblersong“. Den hab ich exklusiv für Barschalarm in einer halben Stunde geschrieben und gleich aufgenommen. Er ist nix Spezielles und ich bin kein Howard Carpendale!!! Aber vielleicht gefällt er euch trotzdem. Hier könnt Ihr ihnEuch direkt runterladen! (Anmerkung von jd: „Der Song ist genauso geil wie alle Deine Berichte Tiger! Schön, Dich an Board zu haben und schade, dass nun kein Indien-Bericht mehr folgen wird. Aber wir freuen uns alle schon auf Deine nächsten Reportagen!)