Meeresräuber Von Felsen, Möwen, und Meeräschen
Beitrag enthält WerbungVor einigen Wochen rief meine Mutter mich an. Nach dem üblichen „Wie läuft’s denn?, Uni, jaja!, Schön, Hast du genug zu Essen?“, fragte sie, ob ich sie nicht in ihrem bevorstehenden Sommerurlaub besuchen kommen wollte; Bretagne, Atlantik. Der Deal war, dass ich meinen kleinen Bruder, seine Freundin und meine Freundin mit nach Frankreich karren sollte – was jetzt nicht weiter schlimm war.
Meine zunächst noch mittelmäßige Motivation – standen doch einige Wochen später etliche Klausuren an – wuchs jäh an, als ich die Schlagwörter Bretagne, Atlantik und Fliegenfischen in die Suchmaschine mit dem Doppel-o hämmerte. Schnell landete ich auf der Seite eines Guiding Unternehmens, keine 10 Kilometer vom geplanten Urlaubsziel entfernt. Auf der Seite wurden Wolfsbarschfänge in IGFA Rekordgröße angepriesen. Ich war dabei! Drei Telefonate später gab es einen Plan: Bruder Zeit, Freundinnen Zeit, in zwei Wochen geht’s nach Frankreich! Zwei Emails später wurde meine Euphorie allerdings gebremst. Eine schriftliche Ausarbeitung als Ersatz für eine zu verpassende Vorlesungssitzung und der Guide ist zum gewünschten Zeitpunkt auch nicht vor Ort. Naja, wird auch ohne gehen – dachte ich.
Zwei Wochen später: Wir sind jetzt 14 Stunden unterwegs, geplant waren 9, es liegen noch 50 Kilometer vor uns, alle müssen Pipi, meine Nerven liegen blank.
Einzige akute Wiedergutmachung: ein wunderschöner Sonnenuntergang kündigt sich bereits an, den wir dann auch eine knappe halbe Stunde später, am Ziel angekommen, in voller Pracht genießen können.
Es ist Ebbe, überall ragen riesige Felsen und Tangfelder aus dem Wasser. Die letzten Sonnenstrahlen verleihen der Szenerie etwas Magisches. Ich bin mir sicher, das mit den Wolfsbarschen wird klappen. Am nächsten Mittag stehe ich auf riesigen Felsen, die Flut kommt, überall im Wasser glitzert es. Futterfisch! Meine letzte Begegnung mit dem Loup de mer liegt fast 10 Jahre zurück. Das Einzige was ich noch weiß: sie fressen gerne dicht am Felsen und am liebsten große silberne Spinner. Da sich diese aber nicht wirklich gut an der Fliegenrute werfen lassen, montiere ich einen ca. 10 cm langen Streamer, den ich sofort fressen würde, wäre ich ein Wolfsbarsch. Das Schöne an der felsigen Küste: es gibt kaum penetrante Sonnenanbeter.
Somit verringert sich das Risiko enorm, den Streamer beim Rückwurf im Nacken irgend eines Hardcoreurlaubers zu versenken. Das nimmt einiges an Anspannung. Trotzdem bin ich etwas zittrig als ich mit ordentlich Dampf den Knoten zur Runningline durch die Ringe schießen lasse. Wie lang wird es dauern bis der erste Wolf zupackt? Nach dem dritten Wurf bin ich noch optimistisch. Auch als ich zum sicher 30sten Mal den sinkenden Streamer mit variantenreicher Führung einstrippe rechne ich „sekündlich mit dem Einschlag.“ Als dann aber auch nach vielen weiteren Würfen und Köderwechseln kein Meeresbewohner Interesse gezeigt hat, bin ich mit dem Tag durch. Also zücke ich meine Kamera und knipse ein paar Fotos von der wirklich wunderschönen Kulisse in der ich hier Angeln kann. Eine freche Möwe, die mein Treiben mit gehobenem Interesse verfolgt hat, erweist sich als talentiertes Fotomodell. Und so versöhnt mich dann ein doch recht gelungenes Bild der heranfliegenden Möwe mit dem ansonsten eher ereignisarmen Tag.
Zwei Tage später klingelt mein Wecker um kurz nach 6 – gerade noch schaffe ich es ihn auszudrücken, bevor auch meine Freundin wach wird und entgehe so nur knapp einem Mordversuch. Der Grund, warum ich mich selbst im Urlaub solchen Strapazen und den damit verbundenen Gefahren aussetze? Nunja, die Wolfsbarsche hatten sich immer noch nicht sehen lassen. Jedenfalls nicht so richtig. Einen hatte ich dran. Kein schlechtes Exemplar, sicher 50cm lang. Er schnappte sich einen kleinen silbernen Streamer, als ich eine Hafeneinfahrt abfischte. Eigentlich hatte ich es dort auf Makrelen, kleine Doraden oder sonstiges Getier abgesehen, nachdem ich die Wolfsbarsche schon aufgegeben hatte. Deswegen hatte ich auch nur eine 6er Rute in der Hand mit der ich den wilden Kämpfer nicht schnell genug von den scharfen Felsen weg dirigieren konnte. Nach kurzem Drill hatte ich verloren. Jetzt habe ich wieder die 8er dabei. In einem nahen Hafen hatte ich am Tag zuvor einige wirklich schöne Meeräschen entdeckt. Leider musste ich feststellen, dass diese lediglich die Sonne genossen und überhaupt nicht in Fresslaune waren. Hinzu kam, dass meine Fliegenauswahl in Meeräschen-Größe recht beschränkt war. Das Ziel waren ja die Wölfe gewesen. Keine Algenfliegen, Mini-Krebschen oder Ähnliches. Zum Glück hatte ich zufällig noch eine Döbelbox im Auto. In einem vergangenen Urlaub am Atlantik hatte ich in einem ähnlichen Hafen nahezu handzahme Meeräschen mit Brot gefüttert – dort war das Angeln, Glück für die Meeräschen, verboten gewesen.
Mein Plan war plump aber vielleicht auch genial: Ich wollte die Meeräschen mit kleinen Brotstückchen schon zum Frühstück, wenn Sonnenbaden für die vorsichtigen Meeresbewohner noch nicht auf dem Plan steht, in einen Fressrausch versetzen und ihnen dann einen Goddard Caddie servieren, eine Fliege, die ich gerne zum Döbelfischen einsetzte und die einem Stück Baguette gar nicht so unähnlich sieht – ich hoffte dass die Meeräschen genug Phantasie aufbringen würden, um auf meinen billigen Trick reinzufallen. Eine gute Stunde später war mein Urlaub, in anglerischer Hinsicht, ein gutes Stück weniger gescheitert. Zwei kleine Meeräschen hatte ich bereits überlistet. Beide nur halb so groß, wie die Größten, die ich im Hafen gesehen hatte, aber immerhin! Am nächsten Morgen weckte ich meinen kleinen Bruder. „Du kommst mit, heute fange ich eine von den Großen, dann musst du ein Foto machen“ – Optimismus ist immer gut.
Nach einigen Startschwierigkeiten stehen mein Bruder und ich dann tatsächlich wieder im besagten Hafen. Einige Meeräschen konnte ich schon spotten, die meisten allerdings in zu großer Distanz und zu kleiner Größe. Konzentriert beobachte ich das Wasser durch meine Polbrille und gehe langsam an der Hafenmauer entlang. Circa 15 Meter rechts von mir entdecke ich zwei Meeräschen, ich schätze sie auf knappe 40 cm. Vorsichtig schnippe ich ein paar Brotstücke ins Wasser. Aber die beiden schöpfen Verdacht, nuckeln unmotiviert am Brot und schwimmen weiter. In dem Moment ruft mich mein Bruder, der es sich auf einer Bank bequem gemacht hat: „Das hier vorne sind keine Meeräschen oder? Die sind irgendwie zu breit.“ – Ich drehe mich um. Direkt vor der Hafenmauer patrouillieren drei große Schatten. Das sind auf jeden Fall Meeräschen, die Größte locker 55cm lang. Langsam schwimmen sie auf mich zu, das Adrenalin steigt. Ich schnippe das erste Stück Brot etwa 5 Meter vor den Trupp. Eine der drei Meeräschen bricht kurz aus und saugt genüsslich das gesamte Brotstück ein: „Das ist eine Einstellung die mir gefällt!“ – Ich gehe ein paar Schritte zurück und schnipse weiter Brot ins Wasser. Jetzt liegen locker 10 Stücke französisches Langbrot auf dem Weg der Meeräschen. Ich habe die Brotstückchen weit gestreut, ich will den Trupp trennen um gezielt das größte Exemplar anwerfen zu können. Alles auf eine Karte! Tatsächlich dreht die größte Mule – wie sie die Franzosen nennen – ab und orientiert sich zu einem der Brotkrumen.
Ich nehme noch etwas Schnur von der Rolle. Dann mache ich einen kurzen Wurf, mein heller Goddard Caddie setzt knapp zwei Meter rechts von der Meeräsche auf.
Meinen Köder und den Fisch trennt nur noch ein weiteres Brotstück. Und die zu Überlistende scheint noch Hunger zu haben! Lässig saugt sie auch das nächste Stück Baguette im Ganzen von der Oberfläche. Mein Puls rast! Ich drücke die Schnur gegen den Korkgriff meiner Rute. „Hab ich kontrolliert, ob der Haken scharf ist? Was machen eigentlich die ganzen blöden Ankerseile hier an der Hafenmauer?“ – Dann ist es soweit. Einen halben Meter vor meiner Fliege beschleunigt die Meeräsche kurz, erst scheint sie an meinem unfassbar schlechten Baguetteimitat vorbeizugleiten, doch dann dreht sie kurz ein, steigt langsam zur Oberfläche und saugt mein Muster mit einem gehörigen Schmatzen ein. Ich lasse die Rute nach oben schnellen und fange an zu lachen. Erleichterung! Doch noch ist nichts gewonnen. Mein Gegenüber kapiert recht schnell, dass hier etwas nicht stimmt und schießt unter ein naheliegendes Boot. Blitzschnell werfe ich mich bäuchlings auf die Hafenmauer, strecke den Arm und stecke die Rute so tief es geht ins Wasser. So ein 0,18er Vorfach scheuert an einem muschelbesetzten Kiel halt doch recht schnell durch! Jetzt fängt auch mein Bruder an zu lachen. Aber wohl eher weil ich bei der Aktion wohl mehr als bescheuert aussehe. Die Meeräsche dreht nach rechts. Unter zwei Seilen schießt sie hindurch, sammelt mit meiner Schnur einiges an Algen und Pflanzenfetzen ein. Ich knie mich auf die Hafenmauer, eine Hand an die Brüstung, in der anderen Hand die Rute und hüpfe locker eineinhalb Meter hinunter ins Wasser. Von hier aus kann ich den Fisch weit besser kontrollieren. Mein Bruder nimmt derweil 50 Meter weiter die Treppe, die ich nicht gesehen habe. Der Fisch wird müde, die Bahnen kürzer. Noch eine Flucht Richtung offenes Wasser, dann gleitet sie über den Kescherrand.
Wir jubeln, mein Bruder tippt 62, ich 58cm – zweiteres wird durch das Maßband bestätigt. Wahnsinnsfisch! „Dich hab ich gut veräppelt“, denke ich bei mir, als mein Bruder die Kamera anwirft und ich den Fisch für ein Photo aus dem Wasser hebe.
Witzig sehen sie aus, diese Meeräschen. Und ihren Namensvettern aus dem Süßwasser so gar nicht ähnlich.
Ich bin auf jeden Fall absolut glücklich und mit der Bretagne einigermaßen versöhnt. Auch wenn ich noch eine Rechnung mit dem Loup de mer offen habe. A la prochaine!