Fangberichte Perfect Start – Saisonauftakt am Neckar
Pünktlich um 14hundert schmeiße ich den Schraubenschlüssel in die Ecke und verlasse auf dem schnellsten Wege die heiligen Hallen mit dem gelben Hirsch auf grünem Grund – endlich Feierabend! War vor knapp 14 Tagen noch die A6 aufgrund akutem Schneechaos` gesperrt, so herrschte in den letzen drei Tagen absolutes Bilderbuchwetter – 25 °C, ein strahlend blauer Himmel und junge Dinger in kurzen Röcken sorgen für eine erhöhte Konzentration an Glückshormonen in meinem Körper und lassen mich den viel zu langen Winter schnell vergessen. Ab ins Auto, Fenster runter, Sonnenbrille auf und zum 1000 Male Lemmy`s "Ace of Spades" in voller Lautstärke geniessen, ja, das nenn ich Leben!
Ab gehts Richtung Ilvesheim, wo ich für heute meinen ganz persönlichen Saisonauftakt geplant habe. Zwar war ich im Winter das ein oder andere Mal am Wasser, um mein Glück zu versuchen, doch das Ganze wohl eher aus Verlegenheit und nicht wirklich mit dem Hintergedanken, fest zu kommen. Ihr wißt schon, was ich meine … man steht am Wasser rum, badet die ein oder andere Fliege, trinkt das ein oder andere Bier, quatscht Unmengen Blödsinn und konzentriert sich nicht die Bohne aufs Fischen. Scheiße, diesmal sollte alles anders werden! Ich wollte konzentriert fischen, an meine Fliegen glauben, lässige Schlaufen werfen und endlich einmal wieder festkommen. Am Wasser angekommen, wurde all das, was man sich in den endlosen theoretischen Gedanken, die man sich während zahlloser schlafloser Nächte die Off-Season über macht, über den Haufen geworfen.
"Wofür hast Du eigentlich den ganzen Winter über Fliegen gebunden?" denke ich mir, als ich vezweifelt in meine gut gefüllte Fliegenbox schaue. Hey, das ist es, was ich meine – man macht sich die dollsten Gedanken, plant den kommenden Feldzug generalstabsmäßig bis ins letzte Detail und dann sieht die Praxis doch wieder total anders aus.
Ich entscheide mich letztlich für den schwarzen Woolly Bugger, bete gen Oer-Erkenschwick zur heiligen Vagina (sie ist nicht nur die Göttin der Wolllust, sondern auch die inoffizielle Fliegenfischer-Schutz-Patronin) und lasse das Teil zu Wasser. Oberhalb der kleinen Brücke beginne ich den hier recht schnell fliessenden Fluss abzufischen. Dabei observiere ich den Fluss genauestens nach vermeintlichen Fischaktivitäten, schließlich soll heute nichts dem Zufall überlassen werden. "Verdammt, wo sind die Biester?" murmel ich leise während ich doch schon verdammt recht lässige Schlaufen in die Luft zaubere.
(Die kleine Blonde in ihrem viel zu langen Minirock am anderen Ufer schaut mir jetzt schon verdächtig lange zu, was mich offensichtlich bezüglich meiner werferischen Qualitäten über mich hinaus wachsen läßt).
So konzentriert ich auch fische, darauf achte, dass der Kollege auch wirklich unten am Grund läuft (wo ich, zumindest zu diesem Zeitpunkt, den Zielfisch Döbel vermute) und alles gebe, um der Fliege Leben einzuhauchen, irgendwie fängt das hier alles nicht gut an, denn Nix, aber auch wirklich gar Nix tut sich. Lediglich die gewaltigen Platscher um mich herum, die in regelmäßigen Abständen meinen Adrenalin-Pegel steiegrn und mich verwirrt um mich schauen lassen, zeigen mir, dass die "Döbel" wohl doch schon aktiv zu seien scheinen.
Nach ca. zwei Stunden voll konzentrierten Fischens, beschliesse ich die Stelle zu wechseln und vergnüge mich weiter stromab direkt unter der Brücke mit den halbstarken Döbeln im Flachwasser. Nach Döbel Nummer 10, denke ich mir, dass es das ja irgendwie auch nicht seien kann, als ich plötzlich Bolek (die bunte Mischung der über seinen Angelplatz verteilten Plastiktüten der örtlichen Discounter, die Kombination aus Jogginghose & selbstricktem Wollpullover und die in gebrochenem Deutsch über den Bach schallende Erwiderung meines Fischergrusses lassen keine Zweifel an seiner Herkunft aus dem Osten Europas) am anderen Ufer entdecke. Bolek scheint ein cleverer Fischer zu sein, hat er doch eine Rute in alter Fallenstellermanier am Grund verankert, um in aller Ruhe mit der Telerute den Bach mit Blech zu beackern. Und während ich auf der kleinen Kiesbank in der Mitte das Bachs liege, meine Lungen mit schwarzem Krausen verwöhne, zwecks Stärkung die ein oder andere Gerstenschorle vernichte, beobachte ich in Gedanken über neue Fischstrategien den spinnenden Osteuropäer am anderen Ufer.
"…So schnell wie der kurbelt wird das nie was…" denke ich mir, als Boleks Telerute plötzlich verdächtig krumm wird und er souverän diesen mächtigen Silberfisch an Land drillt. Irgendwie mache ich mir keinen weiteren Gedanken darüber und beobachte ihn weiter, wie er den Fisch zuerst durch gezieltes Schlagen auf die Uferbefestigung alles andere als waidmännisch aus dem Genpool befördert, um ihn anschließend stilvoll in einer der mitgebrachten Discounter-Tüten zu verstauen. Doch was müssen meine entzündeten Augen da sehen? Dieser silberne Torpedo-Fisch scheints nicht Boleks erste Beute an diesem Tag zu sein, schaut doch aus der Tüte bereits eine weitere Schwanzflosse, die einen Fisch von mindestens gleicher Größe vermuten lässt.
Gerade öffne ich mit satten "Fump" eine weiteren Krug zur Stärkung, als es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen fällt … Rapfen – Bolek schädelt da drüben Rapfen um!
Noch in der Leerung des Kruges begriffen, krame ich in meinem Bag nach den kürzlich gebundenen Clouser Deep Minnows, deren Einsatz ich bis zu diesem Zeitpunkt immer für äußerst fragwürdig gehalten habe (eigentlich habe ich die Teile bloß gebunden, weil ich sie irgendwie sexy finde). Von jetzt an geht eigentlich alles ganz schnell … ich taper die paar Meter stromabwärts, platziere mich gegenüber von Bolek, der zu diesem Zeitpunkt zum Glück im Begriff ist, das Feld zu räumen (anscheinend sind im die Plastiktüten ausgegangen) und versuche, die für die Klasse 6 offensichtlich etwas zu schwere, Fliege in fangträchtiges Wasser zu befördern – zwei, drei Leerwürfe und der grelle Clouser fliegt Bolek am anderen Ufer fast vor die Füsse. Die Technik des Konkurrenten imitierend, strippe ich was das Zeug hält und gerade als die Fliege die Mitte des Bachs passierts, gibts einen gewaltigen Schlag in der Rute. "..Erster Wurf und schon fest.." denke ich mir, während ich vorsichtig versuche den Fisch aus der harten Strömung zu lenken was mit der Trinity 9.6" 5/6 schließlich auch gelingt. Vor mir liegt mein erster Neckar Rapfen, mit ca. 60 cm zwar kein Riese, aber auch Zwerge haben bekanntlich mal klein angefangen. Schnell das ein oder andere Beweisfoto fürs Familienalbum geschossen und den Fisch releast, denn schließlich soll`s nicht der Einzige bleiben an diesem Abend.
Mittlerweile beginnt es zu dämmern, ich stehe allein im Bach, Bolek ist längst mit seinem klapprigen Mofa zu Hause angekommen und hat wohl auch die Rapfen schon zu Frikadellen verarbeitet und um mich herum beginnen die Rapfen komplett auszuticken. An der Ruhr habe ich ein Spektakel dieser Art im letzten Fühjahr bereits bewundern dürfen, doch was hier passiert ist schlimmer, viel schlimmer. Ca. 2 Meter stehe ich knietief im Bach und um mich herum kocht das Wasser – rechts von mir, links von mir, direkt vor meinen Füssen, überall durchbrechen dunkle Rücken manchmal gemächlich, meist jedoch mit einem gewaltigen Splash die Wasseroberfläche. Mein Adrenalinhaushalt fährt mittlerweile Achterbahn und ich caste wie besessen immer wieder die aufsteigenden Fische an, was bei dieser Anzahl recht schnell in ein kleines Desaster ausartet. Ich merke, dass das Ganze so wenig Sinn hat und entscheide mich für eine kurze Zigaretten-Pause zur Beruhigung, wobei die momentane Ausnahmesituation da vor mir im Wasser nicht wirklich zur Beruhigung beiträgt. Trotzdem versuche ich, von nun an konzentriert zu fischen und mich nicht verrückt machen zu lassen. Drei Würfe später knallts wieder in der Rute – gleiche Stelle, gleiche Welle und Rapfen Nummer zwei verliert nach kurzem, aber hartem Fight das Kräftemessen "Fisch im Liebesrausch" gegen "Angler im Fischrausch".
Nach dem Releasen verliere ich einen weiteren schönen Fisch durch Vorfachbruch an der 25er Maxima. Also, 30er Tippet, neuen Clouser anknoten und weitermachen! Nachdem ich schließlich Rapfen Nummer drei mit 75 cm nach einem Erinnerungsfoto
zurück in sein Element entlassen habe, packe ich glücklich mein Getackle zusammen und mache mich auf dem Weg zur Tanke, Schampus kaufen.
"Ja, besser kann die Saison nicht beginnen", denke ich mir während ich diese Zeilen schreibe.
TL
Ian