Fangberichte Mr. 100 %
Vorige Woche las ich auf Barschalarm, dass auf dem Caspe Stausee die spanische Schwarzbarschmeisterschaft startet. Seit dem schlafe ich nur noch sehr unruhig hier im Trainingscamp. Zwischen den Mahlzeiten sortiere ich die Köderkiste und schleife die Haken. Meinen Wurfarm trainiere ich täglich auf der Hantelbank. Ich gebe inzwischen alles für das eine Ziel: Ich will den Pott, Leute.
O.K., ihr sagt jetzt vielleicht, dass eher der FC Knutzendorf gegen die brasilianische Nationalelf gewinnen würde, als dass ich bei diesem Tournier in Spanien auch nur den Hauch einer Chance hätte. Vielleicht habt ihr sogar Recht. Die Jungs dort in Spanien sind schließlich bis unter die Zähne von ihren Sponsoren beködert worden und fischen das Feinste vom Feinsten. Erfahrung haben die sicherlich auch alle schon ein bisschen. Und an Ehrgeiz mangelt es ihnen nicht.
Aber trotzdem, ich wäre der Underdog, der WM-Neuling, den niemand auf der Rechnung hat, den alle unterschätzen und der deshalb frei und unbefangen aufspielen kann. Trainer nimm mich von der Bank!!!
Und in Sachen Equipment habe ich rein zufällig eine absolute Weltneuheit auf Lager. Es ist quasi eine Wunderwaffe, die einen Meilenstein auf dem Gebiet des Schwarzbarschangelns markieren wird. Ich taufte sie “Mr. Hundertprozent” (Mr. 100%), weil sie bisher noch nicht eine Torchance vergeben hat. Angelhersteller aus aller Herren Länder rennen mir inzwischen die Bude ein. Ich jedoch, vernagele die Tür zu meinem Trainigscamp und ziehe die Gardinen zu, denn wie gesagt: Erst will ich den Pott!
Für euch aber, öffne ich die Pforten ein wenig und werde ein paar Einblicke in meine Waffenschmiede und ins Trainingscamp zulassen.
Kommen wir zunächst zu Mr. 100%. Ich kann soviel verraten: “Es ist ein Wobbler”. Aber Leute – ruhig- keine Tumulte auf den Bänken – bevor ihr euch jetzt enttäuscht und wütend abwendet, lasst euch eines sagen: dieser Wobbler, ist kein Wobbler im herkömmlichen Sinne. Keiner wie ihr ihn kennt und keiner wie ihn die schwarzen Caspe-Barsche im Herbst erwarten werden. Und genau deshalb werde…. ich…. den POTT …. holen.
Aber zurück zum Wobbler. Ich schnitzte ihn einst selber. Und da ich Exaktheit und Genauigkeit leider nicht zu meinen Grundtugenden zähle und mich stattdessen auf Kreativität und die Eingebung des Augenblicks verlasse, gibt es für Mr. 100% auch keine Vorlage oder Anleitung. Habt ihr das gehört, ihr Angelredakteure und Wobblerscouts, die ihr meine Wohnung seit Tagen belagert?!?! Es gibt keinen Plan für Mr. 100%!! Also verschwindet von meiner Tür!!!
Ein Photo von dem guten Stück kann ich leider auch nicht bereitstellen, denn damit wäre der Titelgewinn im Herbst ziemlich gefährdet. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Konkurrenz schläft nicht, sag ich euch. Die warten doch nur darauf, dass ich die Tür zu meinem Labor einen Spalt weit öffne. Dabei ist es das Äußere von dem guten Stück gar nicht allein. Es sind die inneren Werte…
Irgendetwas schlummert in seinem Kern, was ihn schier unschlagbar macht. Manche sagen es sei “Torinstinkt” andere meinen “er könne ein Gewässer lesen”. Ich beschränke mich auf die Fakten und glaube, dass die Gewichtbalancierung in seinem Inneren und das Verhältnis von Körper und Tauchschaufel einfach “perfekt” sind – wenn es so etwas wie “perfekt” überhaupt gibt. Gerade bei selbstgebauten Wobblern ist es ja so, dass jeder Wobbler seine ganz persönlichen Eigenschaften hat. Manche entwickeln über Jahre ihren eigenen verschlagenen Charakter. Manche haben sogar eine Tagesform und ihre Stimmungstiefs. Formschwächen sind Mr. 100% jedoch fremd. Egal welche Qualitäten das Herz begehrt: extrovertiertes Schüttelverhalten, unruhiger Lauf, verschieden Tauchtiefen, seitliche Ausbrüche nach links und rechts …. Mr. 100% hat sie alle – zu jeder Tageszeit, bei jedem Wetter.
Ein Anekdötchen aus dem Leben des Mr. 100% ist seine Taufe:
Wenn ich die Wobbler fertig habe, dann gehe ich für gewöhnlich mit ihnen als erstes zum Teich und schaue mir ihren Lauf richtig kritisch an. Läuft das gute Stück schön gerade oder muss die Tauschaufel korrigiert werden. “Wackelt” er auch so wie ich es will? Fliegt er ohne zu flattern? Oder muss noch “nachbebleit” werden. Ich habe fürs Nachtrimmen immer ein paar “Ansteckbleie” und zwei Zangen in der Tasche.
Bei dieser Taufe gebe ich den Wobblern ihren Namen. Ihr späterer Charakter offenbart sich oft schon, wenn der Wobbler bei dieser Gelegenheit seine ersten Meter durchs Wasser wackelt.
Jene Taufe aber, bei der Mr. 100% unter den Täuflingen war, sollte in dem städtischen Trinkwasserspeicher stattfinden. Ein Freund von mir hatte vorgeschlagen, dahin zu gehen, weil wir schon so lange nicht mehr da waren und er immer noch glaubte, dass es in dem Becken Fische gab. Zwar war der Zutritt nicht legal und nur über ein Loch im Zaun möglich, doch war ich schnell einverstanden, denn das klare Wasser dort ist einfach von einzigartiger Taufqualität. Die Fische waren mir an diesem Tag sowieso egal.
Ich suchte mir eine Stelle aus, die frei von jedem Schilf war und wo weder Kraut noch Äste die Taufe meiner Wobbler stören konnten. Unter Angelgesichtspunkten eigentlich eine absolute Wüste, aber aus Sicht des engagierten Täufers ein Traum. Während mein Freund sich ins Unterholz schlug, montierte ich die Wobbler einen nach dem anderen an den Karabiner.
So wie jedes Jahr, sollte jeder von ihnen nach dem Testlauf seinen charakteristischen Namen erhalten. Statt der genauen Beschreibungen ihrer Laufeigenschaften, gebe euch jetzt einen Teil der damaligen Aufstellung bekannt:
1. Jack the Rüttler (er blieb hinter den Erwartungen die das Rütteln damals in mir geweckt hatte zurück und fing bis heute nicht einen Fisch. Ich sollte ihn in “Arne Friedrich” umbenennen).
2. Kermit the Popp (ein Oberflächenpopper im Froschdesign. Guter Joker für die zweite Halbzeit und immer für eine Überraschung gut)
3. Mad Makrele (ein Wobbler im klassischen Sinne. Setzt sich durch und hat selten ein Formtief)
4. Dead Wood (entäuschend. Gaaaaaaaanz entäuschend. Auch nach diversen Operationen blieb seine Hüfte steif. Ist aber noch in Behandlung.)
5. Balsa brasilia (eine Neuverpflichtung und ein wahrer Tänzer in den gegnerischen Reihen. Bis heute stets in meiner Anfangsaufstellung)
Und dann kam er. Er hob’ ab. Und schon als er seine Flugbahn Richtung Gewässermitte antrat, konnte man in Ansätzen seinen zukünftigen Zauber erahnen. Die Vögel hörten auf zu zwitschern – Licht brach’ durch die Wolkendecke, Blumen regneten herab, 11 Engel sangen ihr Halleeeeeluja und mein Wobbler er flog und flog….
Dann, nach schier endlosen Minuten des Schwebens, verneigte sich seine silbrige Tauchschaufel vor dem Firmament. Er tanzte schwerlos der Landung entgegen. Mir, der als Normalsterblicher mit offenem Mund die Flugbahn verfolgte, erschien es einen himmlischen Moment lang so, als ob der Wobbler mir leise zulächelte.
O.K., das war jetzt ein bisschen übertrieben – ich gebe es zu. Aber ihr wisst ja eh’ schon was gleich kommen wird, oder? Und wenn das so ist, wird man als Verfasser ja auch mal etwas literarisch werden dürfen.
Ich erzähl` es der Vollständigkeit halber aber trotzdem. Aber Vorsicht!!! Ich verfüttere jeden von euch, der das Wort “Anglerlatein” auch nur in den Mund zu nehmen wagt, an die gierige Journalistenmeute dort vor meiner Tür.
Also, es war eigentlich ganz unspektakulär, wenn man mal davon absieht, dass es der “Taufwurf” von Mr. 100% war. Bis zur Landung hätte der Wobbler auch noch gut den Namen “Pommes Rot/Weiss” oder “Otto Lilienthal” erhalten können, doch schon kurz nach dem Aufprall, wurde sein Name ihm auf den jungfräulichen Balsakörper tätowiert und wurde damit ein unauslöschlicher Bestandteil der Geschichte des Wobblerbaus.
Ich zog an, vernahm zunächst die vertraute und gleichmäßig rüttelnde Antwort am anderen Ende und gleich darauf einen heftigen Schlag und dann das Sausen der Drillbremse. “Holla” dachte ich “der braucht’ aber noch etwas Feintunig.”
Ich war auf den Fisch in diesem Moment überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Die Rute hatte ich nur ganz sanft zwischen den Fingern gehalten, um den Lauf des Wobblers genau zu spüren, und jetzt das!
Ein Vorfach benutzte ich bei der Wobblertaufe eigentlich nie, und deshalb vervielfachte sich mit einem Schlag meine Sorge um Mr. 100%, als ein Hecht mit meinem Taufpaten im Maul durch die die Wasseroberfläche brach.
Mir war es egal ob der Fisch dran blieb oder nicht. Alles was ich wollte war meinen Wobbler zu retten (und den Pott zu holen). Deshalb kurbelte ich den Attentäter ohne ihm auch nur noch einen Meter Schnur zu geben ans Ufer. Der Hecht hatte so um die 70 cm und war damit eigentlich in einem Alter, indem er es hätte besser wissen müssen. Er war kein Grünschnabel mehr, der auf den erst besten Köder hereinfällt. Die Taufe meines 7 cm-Wobblers, war mir angesichts dessen ein spontanes Tänzchen wert.
Wer jetzt glaubt, dass ich den Wobbler noch mal rausgepfeffert habe, der irrt! Wie sollte es denn jetzt noch besser kommen? Das Teil hatte eine Erfolgsquote von 100% und die wollte ich ihm doch jetzt nicht mit weiteren Würfen verwässern. Nein, ab in die Köderkiste mit ihm.
Jetzt könntet ihr natürlich sagen, dass das alles “Zufall” war, oder dass der Erfolg bei den norddeutschen Hechten noch nicht heißt, dass es bei den schwarzen Caspe Barsche ähnlich läuft. Wohl war – wohl war. Ich würde euch vielleicht ja sogar Recht geben, wenn ich und die Reporter vor meiner Tür es nicht längst besser wüssten.
Denn Mr. 100% hat letztes Jahr an einem international hochkarätig besetzten Schwarzbarschfinale teilgenommen und den Toruniersieg gerockt. Einzelheiten dazu gibt es beim nächsten Mal.
Ich will den Pott
Tiger