Fangberichte Meerforellentag(e) auf Bornholm
Am ersten Tag fängt man nie was. Zumindest keine Meerforelle. Obwohl man sich gedanklich seit Wochen auf das Werfen und das Werfen und das Werfen, den ersten Biss und den ersten Kampf vorgefreut hat. Mit diesen Gedanken ging ich am 10. April hinunter zum Wasser. Wir hatten für zwei Wochen ein Häuschen an Bornholms Küste in der Nähe von Listed gemietet, dessen Grundstück bis hinunter zur felsigen Küste reicht. Vorn muss man über einige schroffe Granitklippen klettern, bis man auf einem halbinselartigen Vorsprung steht, von dem aus es sich 180° breit in alle Richtungen werfen lässt. Vor den Felsen verläuft eine rund vier Meter tiefe Rinne, davor mehrere Riffe, die bis einen knappen Meter unter die Wasseroberfläche aufragen. Nach einer Stunde gierigen Warmwerfens wollte sich der Küstenwobbler in gut zwanzig Metern Entfernung einfach nicht mehr weiterbewegen. Mein erster Schreck wurde mit dumpfen Kopfstößen am anderen Ende der Schnur beantwortet. Wenige Sekunden später fing der Fisch an zu springen und sich an der Oberfläche zu wälzen. Ich hatte ihn wohl mit meinem 25-er Monofilschnürchen ein bisschen zu sehr in meine Richtung gebeten. Zwei Minuten – eine Ewigkeit – später lag die erste Meerforelle in meinem Kescher – noch ganz leicht gefärbt, 65 cm lang und zweieinhalb Kilo schwer. Was für ein Anfang: nach einer Stunde am ersten Tag!
Bornholm hat eigene, sich selbst reproduzierende Meerforellenstämme. Besatzmaßnahmen gibt es auf der Insel nicht. In rund zwanzig kurze, steile Küstenbäche steigen die Fische zum Laichen auf. Die Mündungen ins Meer bestehen häufig aus Kiesbänken, die lediglich wenige Zentimeter unter Wasser liegen. Deshalb sind die Bornholmer Meerforellen länger und nicht so bullig wie ihre Artgenossen auf Fünen, Mön oder Rügen.
Im zurückliegenden, harten Winter war der Küstensaum in Bornholm so sehr verschneit und vereist, dass viele Bornhomer ihren absteigenden Meerforellen per Hand (!) über die Eisbarrieren geholfen haben. Mit entsprechendem Respekt sollten die gefangenen Fische auf der Insel auch behandelt werden.
Schon am nächsten Tag lief mir auf meinem „Hausfelsen“ die zweite Forelle zu. An fast der gleichen Stelle vor einem sanft ansteigenden Steinriff suchte sich der Fisch seine Nahrung in den Wellen bei nur einem Meter Wassertiefe. Sie war ein wenig dunkler gefärbt und bei 70 cm Körperlänge noch sehr schlank gebaut. Eine kurze Zeit später schwamm sie wieder in der Ostsee – unser Bedarf an Frischfisch war noch für zwei Tage von der Forelle des Vortages gedeckt.
Wir – meine Frau, mein Sohn und ich – sind leidenschaftliche Sushi-Fans. Wem das Glück eine blanke oder nicht zu schlanke Meerforelle beschert, der sollte es sich nicht nehmen lassen, diese Delikatesse so zu genießen. Rundkornreis, Essig (zum Säuern des Reises), japanischer Meerrettich (Wasabi), ein paar Blättchen Seetang und Sojasauce machen den Genuss eines wenige Stunden „alten“ Fisches zu einem kulinarischen Erlebnis!
Am Karfreitag herrscht seit Mitte des letzten Jahrhunderts hektische Betriebsamkeit an Bornholms Küsten. Grund ist der Ørreddagen. Ørred heißt Forelle und Dagen heißt Tag. Der Forellentag – besser gesagt, der Meerforellentag – und der geht so: In der Woche vor dem großen Ereignis kauft man sich irgendwo auf der Insel einen Teilnahmeschein für derzeit 80 Kronen. Am Karfreitag sammeln sich dann die Süchtigen ab Sonnenaufgang im Wasser. Angelstrecke ist die gesamte Inselküste mit rund 110 km Länge, als Angeltechniken sind Fliege und Blinker zugelassen. Angelschluss ist um 17.00, um 17.30 müssen alle gefangenen Fische im Hafen von Rønne abgeliefert sein, und um 18.00 Uhr ist Preisverleihung. Alle eingelieferten und von den Juroren inzwischen mit aufgeklebten Nummern versehenen Fische werden auf einem betagten Kaufhaus-Garderobenständer nebeneinandergehängt.
Mit Würstchen und Bierchen in der Hand tauscht man sich mit den anderen Verrückten aus und wartet auf den Countdown, der bei der 25. Forelle beginnt und natürlich mit der größten endet. Gewertet wird nach einem Modus, der Gewicht und Länge berücksichtigt, so dass ein sehr langer, schlanker Fisch durchaus gegen einen etwas kürzeren, aber stämmigeren verlieren kann. 400 Teilnehmer aus Dänemark, Schweden und Deutschland waren in diesem Jahr dabei, 45 Fische wurden abends eingeliefert.
Der Tag begann für mich mit dem ersten Weckerklingeln des Urlaubs um 6.00 Uhr. Sie kennen sicherlich den Blick Ihres Partners, wenn Sie im Urlaub zu nachtschlafender Zeit in Ihrer todschicken Wathose aus dem Haus stolpern, um in Wind und Gischt auf einem ungeschützten Felsen kalte, nasse Fische zu fangen? Zu meiner tiefen Erschütterung saß jedoch bereits ein Ultra-Frühangler auf meinem Felsen vor meinem Grundstück und wollte meine Forellen wegfangen. Nach einem kurzen Frühstück war der Lümmel jedoch vom Felsen verschwunden, und ich konnte zwei Stündchen in Ruhe werfen.
Ich habe am Meerforellentag in zurückliegenden Jahren noch nie etwas gefangen, weil man Meerforellen eben nicht auf Bestellung fangen kann. Punkt.
So ließ sich auch dieser Morgen an, und ich zog dann doch ein längeres Frühstück mit meinen Lieben vor. Am Vormittag trieb es mich dann wegen des südwestlichen Windes an mein Lieblingsriff in der Südostecke der Insel. Sieben dänische Angler standen bereits im 30-Meter-Abstand am Ufer verteilt. Ich gesellte mich als achter daneben und begann, einen älteren grünen Wobbler durchs Wasser zu ziehen. Nach einer Viertelstunde hatte ich von den Tangzöpfen am Drilling genug, watschelte fünfzig Meter weiter und hing nach ein paar Würfen endgültig im Kraut fest. Nur dieses Kraut wippte irgendwie. Rhythmisch. Mit eigenartig dumpfen Schlägen. Ich riss die Rute hoch und musste feststellen, dass der Fisch schon an der Oberfläche war!
Kein Kraut, das das Weiterkurbeln sanft beendete, sondern ein Brett von einer Meerforelle. Mein dänischer Nachbar, in dessen unmittelbare Nähe der Fisch gerade hochkam, stellte seine Aktivitäten sofort ein und beschränkte sich darauf, den anderen sechs zu signalisieren, dass es endlich einen Fisch zu sehen gäbe.
Nachdem ich den Druck etwas gemindert hatte, ging die Forelle wieder auf Tauschstation und spazierte im Halbkreis seewärts um mich herum. Kein Gedanke an Schnureinholen bisher, und dann kamen erneut diese gemeinen Mefo-Drehungen an der Wasseroberfläche, die so manchen Drilling schlicht aus dem Maul hebeln. Nach längerer Diskussion über die nun anstehende Bewegungsrichtung und einer kleinen Ewigkeit hatte der Fisch schließlich ein Einsehen und schwamm mir aus einer Entfernung von zehn Metern zielgerichtet und direkt in den Watkescher. Uff. Zurück an Land – die spektakulärsten Seewasserwathosenfüllungen gibt es übrigens beim Zurückwaten mit Beute im Kescher – warteten schon zwei liebe dänische Leidensgenossen, die irgendwie genauso mitgenommen aussahen wie ich. Sie beglückwünschen mich, tippten auf 75 cm und sieben Pfund und meinten, die käme doch sicherlich unter die ersten fünf.
Und genau so war es dann auch: 75 cm, 3,75 kg und Platz vier beim "kleinen Wimbledon" des Meerforellenfischens – ein großartiger Tag.
Am nächsten Tag würdigte die weltbekannte "Bornholms Tidende" dem Ereignis die ganze vierte Seite und taufte mich flugs in "Alexander Bertsen" um, was sich zwischen Torben Petersen, Kristian Nielsen, Morten Jespersen und Søren Bertelsen auch gleich viel besser anhört!
Ob diesen unverschämten Glücks habe ich dann ersteinmal zwei Tage (!) mit dem Angeln ausgesetzt. Allerdings haben die Fische wohl in der Zwischenzeit auf mich gewartet, denn meine weiteren Bemühungen wurden fast regelmäßig mit Meerforellen belohnt. So kamen in den nächsten Tagen noch zwei blitzblanke, zurückgesetzte 50er, eine 69er und schließlich eine blanke, runde 52er hinzu, die allerdings den Sushi-Tod sterben musste.
An dieser Stelle sei ausdrücklich gesagt, dass diese Menge Fisch in der kurzen Angelzeit – ich war vielleicht an zehn Tagen für je zwei Stündchen unterwegs – auch auf dieser Insel außergewöhnlich ist.
Ich habe schon ganze Wochen regelmäßigen Fischens ohne einen einzigen Biss auf Bornholm verbracht.
Am vorletzten Urlaubstag – der letzte ist grundsätzlich familien- und wathosentrocknungsreserviert – fuhr ich am frühen Morgen (erneut mitleidsvoll partnerblickgestraft) ins gelobte Mefo-Land, die legendäre Salene-Bucht an der Nordküste Bornholms.
Um es kurz zu machen – ich habe noch nie so viele große Meerforellen gesehen wie beim Sonnenaufgang an diesem 21. April. Ich stand ganz allein in der Bucht und "im Fisch". Viele Meerforellen zwischen 60 und 80 cm schwammen direkt unter der Wasseroberfläche mit gelassenem Flossenschlag an mir vorbei oder katapultierten sich halbmeterhoch aus dem Wasser. Eine Gruppe von wilden Schwänen nahm Anlauf zum ersten Tagesflug, zwei Eidererpel bemühten sich charmant um eine Eiderente. Ich glaube, an diesem Morgen wäre mir eher ein Fisch in die Wathose gesprungen, als dass er sich an einem Blechfischchen mit Drillingshaken vergriffen hätte. Ich weiß nicht, was die Meerforellen sich dabei gedacht haben, aber auf Nahrungssuche waren sie nicht.
Der krönende Abschluss war eine stramme Achtziger, die in einer Entfernung von vielleicht fünfzehn Metern direkt vor mir für einen Moment in der Luft zu stehen schien. Danach habe ich das Fischen abgebrochen.
Vielleicht muss man Angler sein, um zu verstehen, warum ein Morgen ohne Fisch der schönste Morgen gewesen sein kann…