Fangberichte Last Minute-Fight – tough, tougher, Teneriffa!
Meine ersten, seit Jahren geschriebenen Worte zum Thema Angeln sind für euch. Für jeden Einzelnen, der mir zugesprochen, geteilt und gespendet hat. Für Support & Solidarität. Für jeden Cent der auf meinem Konto und jedes Wort das in meinem Email Postfach gelandet ist. Es war anfangs ein beklemmendes und unangenehmes Gefühl, die Hölle an die Öffentlichkeit zu tragen und nach Hilfe zu bitten. Umso gerührter war ich, mit wie viel Bereitschaft, Selbstverständlichkeit und gleichzeitiger Diskretion der „Rettungseinsatz“ über die Bühne ging. Wer hätte gedacht, dass meine Leidenschaft, die sonst mit Schlafmangel, schlechtem Essen, Stress, Sonnenbränden und Schadstoffexposition einhergeht, eines Tages zu meiner Genesung beitragen würde?
Der Tackle-Sell war eine Bombenidee und trägt jetzt Teilschuld an den in Zukunft weiterhin erscheinenden Startseitenromanen. Fühlt euch also gedrückt und gezüngelt (bin nicht ansteckend, schwör auf Hechtmutti). Angeln verbindet – in guten, wie in schlechten Zeiten. Vielen Dank!
Ich habe lange nicht gedacht, lange nicht gefühlt, lange nicht gelesen, lange nicht geschrieben, lange nicht gelebt. Geangelt habe ich – sofern es mein Zustand irgendwie wieder zuließ. An die wenigen Sessions erinnern kann ich mich nur spärlich, die Fotos auf der Speicherkarte unterstützen die beinahe verblassten Erinnerungen der letzten eineinhalb Jahre. Ein paar brutale Topwater Strikes und ein Hochsommer-Hechtdrill inmitten von kreischenden Badegästen haben sich wie eine Art „Standbild“ in meinem Kortex verewigt, alles dazwischen gleicht einer trüben Brühe, deren Inhalt ich selbst beim genauen Hinsehen nicht mehr identifizieren kann. Das Ergebnis neuronaler Entzündungsprozesse.
Was sich ab 2018 in meinem Körper abgespielt hat, wünsche ich meinem schlimmsten Feind nicht.
Aber es war eine Erfahrung. Wenn auch eine ziemlich intensive. Ich bin zum großen Teil wieder ich, mit ein paar kleinen Defiziten und Hängern. Ich brauche länger, um deinen Witz zu verstehen und kann einer Geschichte meistens nicht bis zum Ende folgen. Manchmal reagiere ich unangemessen auf Aussagen, meine es aber nicht so. Abwesenheit ist öfter anwesend. Man lebt im Moment (klingt auf den ersten Blick ganz geil, ist es aber nicht, sofern man nicht selber bestimmen kann, wann man abschaltet und wann nicht), weil Gedankenströme nicht mehr fließen und keine überschaubare Einheit zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bilden können. Ich fühle mich wie eine Forelle an der Strömungskante, die nach vorbeitreibender Nahrung in Form von Gedanken und Ideen schnappt, niemals in der Lage, alles davon aufzunehmen. Eine Qual für jemanden, der sonst jedem geistigen Detail bis in die hintersten Winkel des Kaninchenbaus gefolgt ist. Was meine Kreativität angeht, bin ich noch eher so Ostsee als Korallenriff. Aber eben nicht mehr totes Meer… Da fängt man immerhin paar Dorsche und Mefos, könnte also schlimmer sein.
Mein Rechnungsstapel ist dicker als das Profil eines Pig Shads, mein Geldbeutel dünner als Finesse Filets. Aber ich bin bleifrei wie Tungsten und im Gegensatz zu den Fischen, die wir fangen das Quecksilber los. Letztendlich waren es über 30 Infusionen. Mein Körper kann wieder halbwegs den normalen Prozess von Erkältung und Erholung durchleben und wird mit den übrigen Belastungen besser fertig. Die Borrelien und Viren habe ich (einigermaßen) im Griff. Das CFS (chron. Fatigue Syndrom) ist allerdings nach wie vor da und wird wohl auch nie vollständig weggehen. Ein Geschenk auf Lebenszeit, aber im Vergleich zu dem, was war, kaum noch der Rede wert. Zwischendurch habe ich mit gelegentlichen, bis dato ungeklärten autoimmunen Reaktionen zu kämpfen (ein Mitglied hier aus dem Forum ist mir diesbezüglich zur Seite gestanden, Grüße an dich falls du das liest Dr. S ), doch ich habe das Gefühl, dem „beißenden Pitbull Maulkorb und Leine“ angelegt zu haben, seinem „Herrchen das Genick zu durchtrennen“ dürfte also schwierig werden.
Ich rauche nicht mehr, esse gesünder als ich es jemals freiwillig tun würde und kann – „leider“ – immer noch nicht in den Flaschenhals gucken. Tube Jigs und Splitshots werden nicht mehr in den Mund genommen, Gummfischboxen nicht mehr im Schlafzimmer gelagert (dafür brauchte es diese Nahtoderfahrung).
Ich nehme mir Zeit für Dinge und akzeptiere, dass ich länger brauche. Ich schätze den Luftzug im Gesicht und die Sonne auf der Haut. Ich halte mich an jene Menschen, die inmitten dieses Wahnsinns an meiner Seite geblieben sind, mir geholfen und niemals den Rücken zugekehrt haben. Und ich scheiss auf jene Menschen, denen ich egal war und die nur so lange dableiben, wie man lacht & leistet. Tough times trennen die Spreu vom Weizen.
Meine Freundin gehört zum Weizen (auch wenn sie ihn im Essen nicht verträgt). Sie kam und blieb als es brannte. Sie steckte mindestens so viel ein wie ich selber und tut es nach wie vor. Das hätten die wenigsten Frauen durchgezogen. Zuckend im Bett liegen, weinen und 15 mal am Tag seinen Darm zu entleeren würde ich jetzt mal spontan nicht unter den Mens Health Top Ten Flirting Tips verbuchen. Und genau aus diesem Grund war eine kleine gemeinsame Auszeit mehr als überfällig.
Dass ich 30 werde, hätte ich vor 2 Jahren keinem geglaubt, habe jetzt aber tatsächlich das magische Trio geknackt. Der Geburtstag verlief genau wie die zwei vorherigen sehr beschaulich. Keine Feier, keine Freunde, kein Fusel. Das kommt, wenn kontinuierliche Stabilität gegeben ist, ich dem besoffenen Kneipengemurmel besser folgen kann und keine groben Rückfälle mehr drohen.
Ein paar Anrufe und Whatsappnachrichten auf dem Handy, ein Spaziergang und ein Essen beim Italiener in trauter Zweisamkeit. That´s it.
Der Geschenkvorschlag mütterlicherseits beschränkte sich auf einen Kurzurlaub, was nach Mamas Meinung der einzige Weg zur geistigen Genesung sei. Wenn es denn so einfach wäre… Während der Hochphase der Krankheit bestand Funkstille, zu komplex war die Situation. Jetzt normalisierte sich unser Verhältnis wieder. Ich nahm also dankend an.
Neben der Jahreszeit, spielten – wie auch bei allen anderen Trips – die limitierten Finanzen eine entscheidende Rolle. Viele Möglichkeiten Anfang März nicht zu erfrieren, hat man innerhalb Europas nicht. Alles was bleibt sind die südlichsten „Ableger“ unseres Kontinents: Die Kanaren!
„Fuerte ist irgendwie zu wüstig.“… “Gran Canaria ist irgendwie zu rund.“… “Lass nach Teneriffa.“
Schnurstracks war das Reiseziel fix. Die größte und vielseitigste Insel des Atolls stand schon lange auf meiner Wunschliste und bei Flugpreisen von 150 Euro für Hin- und Rückflug, 23 Euro pro Nacht für die Unterkunft und einem vollkaskoversicherten Mietwagen für 70 Euro die Woche, packt man die Chance beim Schopf. Außerhalb des von uns ausgewählten Zeitraumes waren die Flüge relativ teuer und angesichts der finanziellen Lage nicht in Frage gekommen.
Ich verspürte seit Jahren das erste Mal wieder so etwas wie Vorfreude, scrollte durch Google Maps wie ein 15-Jähriger durch Pornhub, tippte mich Nächtelang durch den Navionics Chart Viewer. Dutzende Male dieselbe Shore line. „Ah genau den Spot hatte ich mir ja schon rausgesucht… You remember, I can´t remember that well..“
Mein Boy Nico (aka Pikehead) ließ ebenfalls sein „salzwasserfestes Adlerauge“ drüber schweifen, gab mir Tipps und erweiterte gleichzeitig mein bescheidenes Vorhaben, auf Barracuda zu wobbeln, um die Notwendigkeit des Shorejiggings auf Bonito, AJ und Co. Ich wusste zwar, dass es die beste Jahreszeit war um die Miniaturthuns vom Ufer abzugreifen, aber ebenso, dass es sich als durchaus undankbare Aufgabe erweisen könnte, wenn man weder das Revier kennt, noch ausreichend Zeit zur Verfügung, noch Erfahrung mit dem Fang der jeweiligen Fischart hat. Von meiner Verfassung ganz zu schweigen. Nichts desto trotz wanderte Nicos Shimano STC Monster Shore Jigge + Saltiga in meinen Koffer, zusammen mit einer Hand voll salzwassertauglicher Hardbaits und Ali Express Shorejigs in Gewichten zwischen 20 und 100 g.
Fürs Cuda-Wobbeln sollte die Daiwa Megaforce Travel Spin in 30 – 70 g in 270 cm gepaart mit meiner 3000er Nasci, 0.14er Braid und 0.40er Fluo Leader herhalten.
Abgesehen von den oberen Vertretern der Nahrungskette, war davon auszugehen, dass sich ausreichend Möglichkeiten bieten würden, kleineren Meeresbewohnern wie Meeräschen, Eidechsenfischen, Hornhechten, Brassen, Striemen, Lippfischen und Miniriffbarschen nachzustellen. Kurzweiliges Angeln, das sich aufgrund seiner meist dankbaren Frequenz auch von Nichtangler(inne)n gut „verdauen“ lässt.
Im Hinterkopf hatte ich dabei eine vor Freude strahlende Nici, die sich an den leuchtenden Farben von den ersten selbstgefangenen Papageienfischen und Schriftbarschen nicht satt sehen kann. Es sollte anders kommen.
Um diesen Bereich abzudecken, greife ich ebenfalls auf eine 4 teilige Megaforce Travel Spin in der leichtesten verfügbaren Variante (7-25 g) zurück. Der semi-parabolische, aber dennoch relativ zackige Blank meistert den Großteil der aktiven Angelmethoden gut und eignet sich gleichzeitig hervorragend, um stationäres Fischen mit Floatern, Schwimmbrot oder Rollblei zu betreiben. Dazu eine 2000er Daiwa LT mit 8-10 lb. Braid, entsprechend langem Fluo in Stärken zwischen 0.18 und 0.35 mm (je nach Zweck und Angelart), and you are good to go. Perfektion in puncto Tackle ist ein Luxus, den ich mir momentan (und die nächsten Jahre) nicht leisten kann, der aber auch nicht essentiell ist, um Spaß zu haben und zum Fisch zu kommen.
Allein durch die limitierten Gepäckvorgaben ergeben sich ohnehin meist Einschränkungen, die gewisse Abstriche erfordern. Ich spiele die möglichen, anglerischen Szenarien im Kopf durch und behalte dabei die übrige Zeitaufteilung und Tagesplanung im Blick, um Dinge auszusortieren die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kaum oder gar nicht zum Einsatz kommen würden. Bei einem reinen Angelurlaub sieht das Packverhalten anders aus und man bereitet sich auf alle Eventualitäten vor, bei Reisen mit anglerischer Komponente verkleinert man den Kreis der „Bait-Elite“ auf ein mögliches Minimum.
Drei kleinere grob geteilte Tackleboxen reichten um das Nötige unterzubringen und fanden zusammen mit den Ruten und Rollen problemlos Platz zwischen Klamotten und Co.
Eine Box voller Shorejigs, eine kleine zweigeteilte für sämtliche Hardbaits und eine dreigeteilte für den Stationärkram. Dabei reichte das Spektrum von feinem Posenangeln (Floater, Wasserkugel, Haken, Splitshots, Kugelbleie, Stopper, Wirbel) bis hin zu Rochen-tauglichem Endtackle inklusive Knicklichtern. 3-4 Karpfenbleie zwischen 90 & 120 g, 0.80er Fluo, 3/0-6/0er Haken und Wallerwirbel sollten einer Tischplatte bei „freiem Feld“ standhalten können. Von meiner früheren Australienreise weiß ich, dass Spooling zu den Lieblingshobbies der riesigen Knorpelfische gehört und – sofern die Krabbenschlürfer einmal den Duft der Freiheit schnuppern –
bis zum bitteren Ende praktiziert wird. In den meisten vielgenutzten, größeren Häfen Teneriffas, ist das Fischen, insbesondere das gezielte Rochenangeln vor einigen Jahren verboten worden, nachdem die Drills aufgrund der zahlreichen Hindernisse (Stege, Boote, Seile, Steinschüttungen) meistens nicht zugunsten des Anglers ausgegangen waren. Der vielgelesene Tipp, an den Anlegestellen der Schiffskutter und BigGame Charter im Port anzusitzen, da dort nach den Ausfahrten jegliche Fischabfälle ins Wasser gelangen, war damit nicht viel heißer als das Wetter in Deutschland zu jener Jahreszeit. Man müsste sich also einen weniger frequentierten Hafen mit sandigem Untergrund oder entsprechenden Strand suchen, was in der kurzen Zeit nicht zwangsläufig gelingen würde.
Unsere Unterkunft befand sich zentral an der vergleichsweise steilen Südostküste, die zwar weniger von Touris belagert, aber dafür dem ganzjährig wehenden NO-Passat ausgeliefert war. Dass mich steile Felsen und eine raue See erwarten würden, war mir bewusst, dass man beim Verlassen der Hütte breitbeinig laufen musste, um nicht wie ein Drachen abzuheben, eher weniger. Das sollte sich erst nach unserer Ankunft offenbaren.
Abgesehen vom Fischreichtum hat Teneriffa eine extrem abwechslungsreiche Natur zu bieten. Man könnte schon fast sagen, dass sich die Insel in verschiedene Klimazonen unterteilt und an Landschaften alles mitbringt hat was die Breitengrade hergeben.
Eine Bergkette im Landesinneren trennt den kargen, trockenen Süden vom grünen Norden, wo
eine üppigere Vegetation, gemäßigtere Temperaturen und zerklüftete Küsten zum Wandern einladen. Eine Mischung, die sich irgendwo zwischen Südaustralien, Neuseeland, Argentinien und Kolumbien bewegt. Klingt geil. Ist es auch.
Quält man sich ein paar Kilometer über die Serpentinen bis zum nördlichen Herzen der Insel hindurch, versinkt man im Nebel der verwunschenen Lorbeerwälder. Urige Baumformen winden sich wie braune Adern über den schmalen Straßen zu einem Tunnel und drehen die Zeit um ein paar Millionen Jahre zurück. Die Sicht beträgt keine 20 Meter, Sonnenstrahlen dringen nur an wenigen Stellen durch das grüne Dickicht. Wer seine Wasserflasche vergisst, muss sich keine Sorgen machen: Die Luft kann man quasi trinken. Hat man 30 km weiter unten sein Apartment noch in T-Shirt und Shorts verlassen, wird man hier beim Öffnen der Autotüre mit dem Gefühl begrüßt, ein mildes Kühlhaus zu betreten. Der Moment des Aussteigens gleicht hier dem ersten Atemzug nach dem Biss auf ein Airways. Fresh und voller Leben. Meister Yoda ist nicht tot, er lebt irgendwo hier im Parque Rural de Anaga.
Genug des Exkurses, back to Business: Der Tag des Abflugs kam und fühlte sich an wie der Tag des Abgangs. Bereits seit Januar hatte ich mit einem Schub zu kämpfen, wie ich ihn seit 2018 nicht mehr erwartet hätte. Übelkeit, Schwäche, Atemnot, Schmerzen, Nierenprobleme, Herzrasen und Bewusstseinstrübung waren die unsichtbaren und gleichzeitig schwersten Gepäckstücke, welche ich mit an Bord nahm und unter deren Gewicht nicht nur ich, sondern auch meine Freundin zu leiden hatte – mal wieder. Der Urlaub stand auf der Kippe. Besoffen… mit Augenbinde … Sorge statt Vorfreude. Muy bien. Den Flug verbracht ich in stabiler Seitenlage auf Nicis Oberschenkeln. Der nicht vorhandene Sitznachbar zu meiner Rechten, hatte wohl Final Destination-mäßig geahnt, was auf ihn zukommen würde und sich bei der Buchung für einen anderen Platz entschieden. Das Beste für alle.
Start, Flug, Landung, Gepäck, Mietwagen, Einkauf, Unterkunft – Check.
Das typische Arrival-High blieb mir in meinem Zustand leider verwehrt. Die heiße Luft, der Sand, die Palmen, der Anblick des tiefblauen Ozeans und die unzähligen Leckereien im Supermarkt nimmt man hinter den Mauern der Krankheit kaum wahr. Als ich wankend zwischen den Olivenregalen stand und mit Tunnelblick auf den Boden schielte, kam mir alles so unfassbar absurd vor. Einen Urlaub an- mit dem Gefühl abzutreten. Wie stellte ich mir das vor? Ich liege den ganzen Tag im Bett, während meine Freundin alleine am Strand ein Buch liest? Der Gedanke, eine Woche auf der Matratze vor mich hin zu vegetieren, fraß mich innerlich auf. Ich hasste mich, mein Leben und diese scheiss Krankheit. Immer wenn man glaubt, es bis an den Rand der Grube geschafft zu haben, zieht einen die Tentakel zurück ins Verderben. Egal wie oft man sie abschlägt und welche Klettertechnik man auch wählt. Der Sturz ist gewiss…
Ebenso der Wind vor unserer Haustür. Die Art von Wind, die deinen Bait zum Boomerang macht. Und dich dazu bringt, 9 von 10 Spots von der Liste zu streichen, weil der Schnurbogen sich um die halbe Insel legen würde. Ziemlich ernüchternd, wenn man bedenkt, dass die Passate parallel zur Küste wehen. Dämpfer numero uno.
Dicht gefolgt von Dämpfer numero due. An unserer Unterkunft im kleinen Küstenort Punta Prieta (Ziemlich die Mitte besagter Küste) gab es nichts auszusetzen: Direkt am Wasser gelegen, günstig, gemütlich und mit allem ausgestattet, was man zum Leben braucht. Gastgeber ehrlich und herzlich. Nicht so die Mitbewohner.
Kaum war es draußen dunkel geworden und die Küche in Kunstlicht gehüllt, fiel das erste „Fuck“. Blitzangriff aus dem Hinterhalt des Kartoffelnetzes: Fühler, Beine, krallen, Panzer –
Alles, was einen instinktiv zusammenzucken und 10 Schritte nach hinten springen lässt. Ungünstig kombiniert mit der Flinkheit eines ausgehungerten Hochsommerrapfens. „So groß war die nicht, chill.“, waren meine ersten Worte zu Nici, die den Zwischenfall als Aufruf sah, die Küche genauer zu untersuchen.
„Alter ich kotz ab, die ist so riesig.“, aus dem gleichen Mund halbe Stunde später, nachdem zwei weitere im Format (und gefühlt auch Gewicht) eines Karpfenbleis ihre abstoßenden Antennen aus den Wandspalten streckten, bevor sie sich hörbar (!) über den Holzboden auf Nahrungssuche begaben.
Ich will eins klarstellen: Ich bin Tierfreund (außer Pferde, die mag ich nicht) und hab ein Herz für alles, was kreucht und fleucht. Ich ziehe dir jede Schlange aus dem Loch und jedes Krokodil aus dem Sumpf. (Große) Spinnen und Tausendfüßler hingegen, liegen weit außerhalb meiner „Toleranzumlaufbahn“. Und wenn eben genannte Krabbler Planeten sind, die ich noch durch mein
Toleranzteleskop sehen kann, sind Kakerlaken das schwarze Loch am anderen Ende irgendeiner Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxis, deren wissenschaftlicher Name so klingt wie ein Baitcast-Sondermodell aus Fernost. Ich HASSE Kakerlaken. Die Grundeln der Air Bnb Welt.
Und somit waren wir 2 Mädchen gegen 200 Monster.
Wieso müssen die so rennen? Wieso sind sie so groß und wieso müssen sich ihre Fühler so bewegen?
Die einzige Frage, die ich beantworten musste, war jene nach der Effektivität eines geeigneten Tötungswerkzeugs. Der Schlappen wurde zu meinem Schwert und ich zog in den Krieg.
Das Massaker von Punta Prieta nahm seinen Lauf:
Da unser Bett mit dem Kopfteil direkt an einer Holzverkleideten Wand lehnte, wo sich zwischen den naturbelassenen Bretter unzählige Spalten befanden, bestand der nächste Schritt darin, das Gestell in die Mitte des Raumes zu schieben.
Nachdem ein paar Exemplare in den Insektenhimmel, äh in die Insektenhölle gewandert waren, das Bett mit einem Reigen aus Pfeffer (<3 GuteFrage.net) „gesichert“ wurde, wir die Nacht vor Abreise ohnehin nur wenig geschlafen hatten, der erste volle Tag bevorstand und ich alles andere als in stabiler Verfassung war, redeten wir uns ein, die „meisten“ erwischt zu haben, das Problem zu vertagen und etwas Schlaf zu finden.
Nach 10 Minuten wachte ich auf, weil Insektenforscherin Nicole in aller Seelenruhe vom Rand des Bettes mit Kopflampe in der Hand in die Ecke der Holzwand starrte und eine Schabe dabei beobachtete wie sie aus ihrem Versteckt kroch. „Ich hab sie gehört.“, sagte sie trocken und die Tatsache, dass ihre widerwärtigen Krallen auf dem Laminat akustisch wahrnehmbar waren, trieb meinen Hass auf diese Kreaturen – und langsam auch auf den Besitzer – in die Höhe.
Obwohl sie mir entwischte, schafften wir es irgendwie, ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, bevor wir zum Meeresrauschen aufwachten.
Geistig noch neben der Spur, ging es mir körperlich besser und wir nutzen diesen Umstand aus, um ein paar Locations – inklusive dem zuvor erwähnten Lorbeerwald – abzuklappern, die uns im Vorfeld angesprochen hatten.
Nicht ahnend, was auf uns in der folgenden Nacht zukommen sollte, wollten wir nicht die picky Germans spielen und hatten unseren Host per Whatsapp freundlich auf das Problem hingewiesen und gefragt, was man da machen könne. Ganz nach spanischer Manier, teilte er uns mit, eine Rapid-Can auf dem Fußboden des Beifahrersitzes seines unabgesperrten Fahrzeugs deponiert zu haben, die wir vorerst benutzen könnten und uns versichert, am darauffolgenden Tag spezielle Kugeln auszulegen, um das Problem zu beheben. Selbst ist der Gast. Na gut, dann wollen wir mal.
Noch vor Sonnenuntergang, sprayte ich mein unsichtbares Graffiti entlang der Zimmerwände, und geizte besonders im Bereich von Spalten nicht mit der beißend riechenden Substanz.
Wir verließen die Räucherhöhle für ein bisschen Abendlichtatmosphäre und ein paar erste Würfe mit der Spinning in der windgeschützten Bucht unweit des Häuschens. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass drei einheimische Angler(innen) dieselbe Idee hatten. Zwar war keiner mit Kunstködern unterwegs, aber Baitfish schien es wohl zu geben.
Ich versuchte, so gut es ging hinter dem Schleier meines Symptom-Cocktails die Eindrücke dieser wunderschönen, malerischen Kulisse einzusaugen und den Moment mit meinem Mädel zu genießen.
In der Dämmerung machte ich die ersten obligatorischen Würfe mit dem Tide Minnow und kurbelte ihn erwartungslos durch die raue See. Windrichtung, Wellengang und Uferbeschaffenheit ließen nur wenig Spielraum was Stand, Wurfwinkel und Köderlaufbahn betraf, sodass der Hakenbogen bereits nach kurzer Zeit wieder in den Ringsteg eingehängt wurde. Mein Auge las Tiefenunterschiede, Strömungen und umliegende Strukturen, schickte sie ins benebelte Gehirn, welches sie miteinander kombinierte und zu Erkenntnissen weiterverarbeitete, aus denen ich leider keine praktische Konsequenz ziehen konnte. „Da müsste ich eigentlich stehen und genau da an die Spitze werfen.“, „Da an der Kante ist mehr Nahrung als hier.“ usw., waren die nicht realisierbaren Gedankenfetzen, welche mir durch den Kopf schwirrten. Dieser intuitive Teil funktioniert auch dann einigermaßen, wenn aufgrund meiner Verfassung nicht mal Gespräche oder einfache geistige Handlungen wie Lesen etc. möglich sind.
Ein wunderschöner Tag neigte sich dem Ende zu und mit der untergehenden Sonne erwachte das gepanzerte Grauen erneut zum Leben – mit Ausnahme von 5 kapitalen Exemplaren, die sich wie Schildkröten in der Sonne auf dem Rücken rekelten und mit ihren ekelhaften Beinen die letzten Zuckungen vollführten.
Bingo! Das Zeug wirkt. Und ebenso „Bingo“, was meine Einschätzung der Invasionszahl angeht. 200 könnten wohl doch keine Übertreibung gewesen sein (und waren es vermutlich auch nicht).
Was in der Nacht zuvor geschehen war, sollte nur einen kleiner Vorgeschmack auf das sein, was jetzt folgte. Für jene, die den Film Starship Troopers gesehen haben, sollte das der Nachvollziehbarkeit genüge tun, für alle anderen teile ich unser Trauma im Schnelldurchlauf:
Wie ein Laborprimat sprang ich schreiend durchs Zimmer. Nackt. Mit Kopflampe, Rapid-dose und Schlappen bewaffnet – Beine, Fühler, Krallen überall – PFFFFFFFFFFFFFFFFFFT – KLATSCH!!! Nici war der Spotter, ich der Schütze. Sobald ein Ziel getroffen war, schaltete es in den survival Modus und legte den Turbo ein, ähnlich wie ein Karpfen der nach dem Einsaugen des Boilies das Gewicht des Bleis merkt und Gas gibt. 5 Ladungen Rapid hinterher und das Objekt war außer Gefecht.
Eine Kakerlake fiel dabei mit einem lauten Scheppern ins Waschbecken und trommelte mit ihren Beinen auf das Blech, eine weitere kam aus dem Schrank in dem wir unsere Klamotten deponiert hatten.
Grade als die Invasion halbwegs gebändigt schien, knallte – mit dem Geräusch einer aufkommenden Kastanie – eine riesige Schabe von der Decke auf den Holzboden direkt neben unser Bett. Das war der Punkt, an dem wir beschlossen, die Reißleine zu ziehen.
Ich rief den Besitzer an und macht ihm unmissverständlich klar, dass wir morgens abreisen würden und stellte ihn auf eine Rückerstattung ein. Noch in derselben Nacht buchten wir ein bezahlbares Appartement in Puerto dela Cruz an der Nordküste, packten unsere Sachen und verbrachten die letzten Stunden der Dunkelheit schlummernd auf den zurückgelehnten Vordersitzen unseres VW´s, der vom Wind ordentlich durchgeschüttelt wurde. Ich hatte keine 20 Minuten geschlafen und meine Synapsen waren wieder auf dem besten Wege, den Dialog untereinander einzustellen. 2/7 des Urlaubs, waren schon mal futsch und angesichts der Umzugsaktion im übernächtigten Zustand versprach auch der dritte Tag keine Entspannung.
Das neue Apartement lag inmitten einer touristischen Hotellandschaft, und hatte nichts mit der erhofften Inselidylle des Küstendorfes zu tun, dass wir soeben hinter uns gelassen hatten. Lloret de Mar für Rentner. Aber zumindest ohne Schaben, wie wir nach penibelster Zimmerinspektion zu unserer Erleichterung feststellen durften.
Der Urlaub konnte beginnen… auf Sprungfedermatratzen… in 2 getrennten Betten… Auch der Balkon ließ keine Wünsche offen: Ein atemberaubender Ausblick auf parkende Autos, eine getrimmte Hecke und den Hoteleingang ließen die Zeit stillstehen. Doch wie gesagt: Immerhin keine Fühler hinter den Küchenschränken.
Den Rest des Tages verbrachten wir an einem wunderschönen Strand nördlich von Puerto dela Cruz und suchten uns für den Sonnenuntergang den wohl eindrucksvollsten Aussichtspunkt, der mir bisher in Europa untergekommen war:
Am Tag zuvor hatten wir einem kleinen Tackleshop in Santa Cruz (Nordwestküste, nahe unserer alten Unterkunft) einen Besuch abgestattet und versucht, uns beim Verkäufer ein bisschen schlau zu machen. Ich sprach kein Spanisch, er kein Englisch. Die Hilfsbereitschaft des Owners und die Begeisterung für eine gemeinsame Passion machten es jedoch möglich, uns mit Händen, Füßen, Google Maps und Zeichenblock soweit zu verständigen, dass ich am Ende um einen geschenkten Gummi+Darting Head (Sein Lieblingssoftbait, soll wohl eine Bank sein), eine Hand voll Spotempfehlungen und das Wissen um den Erwerbsprozess der Angelkarte reicher war.
Was die Papiere angeht, blieb es auch erst einmal bei dem Wissen. Denn nach eineinhalbstündigem Bürokratiekrieg im Stadtzentrum (den Nici hinter dem Steuer unseres Mietwagens auf dem Behindertenparkplatz verbracht hatte, während ich von Gebäude zu Gebäude rannte) wollten die Geldautomaten, an denen ich die Gebühren einzahlen musste, meine Kreditkarten nicht akzeptieren, sodass ich mich nach kräftezährendem „Rein-Raus“ Spielchen geschlagen gab, als die Bank ihre Pforten zur Mittagspause schloss.
Als ich auf die Frage „Und hats jetzt endlich geklappt?“, schweren Herzens mit „Nein…“ antworten musste, sagten mir meine Sensoren ganz klar, dass ich dabei war, den Bogen der Toleranz zu überspannen und das absolut zu Recht. 30 Grad, Mittagsverkehr, hupende Spanier und die Tatsache, dass wir seit unserer Ankunft noch nicht mal den kleinen Zeh ins Wasser gehalten hatten, ließ die Gemüter erhitzen. Wer demnächst (bzw. sobald die Pforten wieder offen sind) vorhat, in Teneriffa zu Angeln, kann mir bezüglich des Kartenerwerbs schreiben, die Namen der Institutionen sind mir leider wieder entfallen, lassen sich durch ein bisschen Recherche aber sicher wieder ausgraben. Fazit ist: Es gibt Länder mit deutlich unkomplizierteren Erwerbsverfahren…
Unter den Spots die mir der nette Local aus dem Store empfohlen hatte, war neben jenen die sich mit meinen aus der Recherche deckten (ein gutes Zeichen für das Zurückerlangen meiner Intuition und meines Verstandes) unter anderem auch jener genannt worden, an dem wir uns jetzt (am Abend des zweiten Tages) zum Sonnenuntergang befanden. (Ich schwör, ich bin nicht deswegen hin, sondern weil die Kulisse knallt.)
Wieso die Aussicht auf Fänge gut ist, war offensichtlich. Wie zum Teufel man auf die Felsen kommt, geschweige denn von ihnen fischen soll, nicht. Wer mich kennt, weiß, dass meine Schmerzensgrenze relativ weit oben liegt, wenn es ums Angeln geht. Aber das war eindeutiger Suizid. „Vielleicht will er auf diese Art nervige Touris loswerden? Hmm nää, dafür war er einfach zu korrekt…“
Starker Wind, gigantische Wellen, deren Gischt sich wie Regen in mehreren Metern Höhe über dir ergießt und steilabfallende, nasse Felsen. Meine Knie wurden weicher als Keitech-Gummimische.
Ich nahm mir vor, nochmal zu kommen, um die Abstiege und fürs Rockfishing in Frage kommenden Felsabschnitte etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Es roch nach Räuber…
Auf dem Rückweg machten wir noch einen kleinen Abstecher zur Mole im Hafen von Puerto dela Cruz (unser neuer Aufenthaltsort) und wurden auch dort von menschenfeindlichen Windbedingungen empfangen. Wie soll man so werfen? Wie soll man so auf den Felsen stehen? Wie soll ich überhaupt da rauf kommen? Wo fischen die anderen?
Ich begann zu begreifen, dass die „Mission Meeresräuber“ eine anspruchsvollere Angelegenheit werden würde als anfangs vermutet und ich mich allem voraus um einen vielversprechenden Spot kümmern musste, der sowohl für die Fische attraktiv ist, als auch mir ausreichend Flexibilität und Sicherheit bietet. Ein Blick auf die Windapp aber, sagte mir, dass genau das die größte Schwierigkeit werden würde…
Und so begann er, der berühmte „Kampf der Kompromisse“ – ein Fluch, der schon so manches Angler-Girlfriend in die Verzweiflung getrieben hat..
Wenn Akzeptanz zu Abturn wird
Weibchen und Rütchen. Ich brauch an dieser Stelle kein neues Fass aufzumachen. Noch weniger vertrete ich plumpe und chauvinistische Volltrottel-Mentalität in Form von unterdurchschnittlichen Stammtischwitzen.Mario Bart Konsumenten (und ja, das ist abwertend gemeint) können also ihre Taschentücher wieder weglegen, es folgen keine sexistischen „Weisheiten“ nach dem Motto „Frauen und Angeln“.
Nichts desto trotz liegt jedem Klischee (und mag es noch so unkreativ, unlustig und diskriminierend sein) ein winziges Fünkchen Wahrheit zu Grunde und jedes Pärchen, das aus 50 % Angler(in) besteht, dürfte im Laufe seiner Zweisamkeit gewisse „Reibungsmomente“ durchlebt haben. Meistens dann, wenn Fisch und Freund(in) sich den gleichen zeitlichen Slot „teilen müssen.“
Nachvollziehbar & unvermeidbar zugleich… Das Herz schlägt nunmal für beides.
Es sei gesagt, dass ich mich in dieser Hinsicht glücklich schätzen kann. Meine Freundin akzeptiert die investierte Zeit, mag Fische und lässt sich gelegentlich selber mal eine Rute in die Hand drücken. Sie freut sich für mich und versteht den Spirit dahinter. Den Schaum vorm Maul kann sie allerdings nicht mehr schmecken. Und genau den konnte ich angesichts des immer kleiner werdenden Zeitfensters irgendwann nicht mehr verbergen.
Das größte Problem war der Wind, das zweitgrößte mein Zustand, der es mir nicht erlaubte, mit nur wenigen Stunden Schlaf auszukommen, vor Sonnenaufgang ans Wasser zu fahren, die beste Zeit mitzunehmen, pünktlich zum Frühstück zurück zu sein und gemeinsam voller Energie in den Tag zu starten. So würde ich es normalerweise machen, aber es war nicht normalerweise.
Als Primetime blieben damit nur Abend, Nacht sowie die Stunden um den Tidewechsel, wobei laut Locals die Morgendämmerung klar als beste Zeit hervorzuheben ist.
Da es in erster Linie UNSER Urlaub war und ich trotz des inneren Triebes den Egoismus nicht vollständig Überhand nehmen lassen wollte, drosselte ich meine Besessenheit, indem ich mich auf die Tatsache besann, dass sich meine Verfassung unerwartet schnell gebessert hatte und ich mit meinem Lieblingsmenschen ein wunderschönes Fleckchen Erde erleben durfte, während der Rest der Deutschen mit triefender Nase den Frühlingsanfang herbeisehnte. Abgesehen davon ließ sich angesichts des Supergaus 2018 die Dankbarkeit, überhaupt wieder das Meer riechen und barfuß im heißen Sand stehen zu können, kaum in Worte fassen.
Doch je besser es mir ging, desto größer wurde der Drang nach Drills. So funktioniert der Mensch. Immer in Relation zu den Umständen. Ist man am Boden, hat man nur den Wunsch wieder auf die Beine zu kommen, ist man auf den Beinen will man Richtung Himmel und hat den harten Boden vergessen.
Glücklicherweise war ich im Vorfeld vorausschauend genug gewesen, mir auf jeder Inselseite ein paar vielversprechende Stellen zu markieren, um einigermaßen flexibel auf die vorherrschenden Bedingungen (in diesem Fall vor allem den Wind) reagieren zu können. Und glücklicherweise waren die meisten der vermeintlich guten Angelspots auch als die schönsten Badespots und/oder landschaftlichen Geheimtipps angepriesen. „Zwei Fliegen mit einer Klappe seine Mutter.“
Der erste solche Ort war der Strand von Los Gigantes an der Westküste Teneriffas. Mehr Sonne & Sand, weniger Wind und Wellen – nicht umsonst gilt der Südwesten als Tourihochburg. Dennoch finden sich auch hier weniger überlaufene Bereiche, zu denen auch der von uns angepeilte Küstenabschnitt zählte. Dachten wir.
Nachdem wir die Serpentinen hinunter gekurvt waren, fanden wir uns vor einer Schranke zur Parkplatzeinfahrt im Hafen wieder und rollten zwischen den Menschenmassen im Schritttempo Richtung Parklücke, deren Benutzung uns knapp 3 Euro die Stunde kosten sollte.
Ein Blick ins Hafenbecken ließ mein Herz rasen: Massenhaft kapitale Meeräschen drängten sich im türkisblauen, kristallklaren Wasser und attackierten alles, was die Frechheit besaß auf der Oberfläche zu landen. „Das ist zu schön um wahr zu sein.“, dachte ich. Und so war es auch,
wie ein Verbotsschild mit rot durchgestrichenem Angel-Piktogramm unmissverständlich kommunizierte. Was hätte ich für nur diesen einen Wurf mit Schwimmbrot gegeben. Aber es gab Schlaueres für einen Touri, als an einem Samstagnachmittag zwischen hunderten Leuten wenige Meter neben einem Verbotsschild seinen Haken ins Wasser zu lassen. Und so verbannte ich die dunklen Gedanken aus meinem Kopf.
Der schmale, schwarzsandige Badestrand befindet sich hinter dem Hafen direkt am Fuße der riesigen Felswand die dem Ort seinen imposanten Namen eingebracht hat. Besonders wenn die Sonne auf die gigantischen Steilhänge knallt, fühlt man sich auf einen fernen Planet versetzt. Optisch 10/10.
Angeltechnisch 0. Mit Hummeln im Hintern und Spinnrute in der Hand, hatte ich mich gerade zu der Steinpackung am Ende des Strandes aufgemacht, als der Bademeister meine Träume mit einem lauten Ruf platzen ließ. Sinngemäß lautete die Ansage: Überall verboten. Zu gefährlich.
Der Diskussionsversuch, dass die Steinpackung außerhalb des Badebereichs liege und ich mich an ihr Ende begeben würde, stieß auf taube Ohren, der Vorschlag, dass ich es auch gerne an der Steinpackung am anderen Ende fernab der Badegäste versuche ebenso. Wenn das Wetter nicht wär, hätte ich schwören können in Deutschland zu sein… Larry der Hummer (an alle Spongebob Fans) nahm seinen Job jedenfalls sehr ernst.
Ich meine Mission aber auch:
Nachdem wir unsere Haut im Meer „entjungfert“ hatten, die Pistazientüte leergefressen und das Uno-Deck ein paarmal neu gemischt worden war, beschloss ich, den Hafen genauer unter die Lupe zu nehmen. „Vielleicht komme ich irgendwie an die Außenmole?“…
Kam ich nicht. Eine 5 Meter hohe Betonwand trennte mich von der Außenseite. Dafür schlenderte ich aber durch die Hafenanlage und ließ mich vom Anblick der fressenden Meeräschen foltern, die sich des Schutzes, den sie genossen, offenbar bestens bewusst waren.
Die Promenade machte einen Knick entlang des Beckens und endete an der Hafenausfahrt… Und nun? Ich sah kein Verbotsschild weit und breit. Ich mein eigentlich ist es ja wie beim Parken, oder? „Theoretisch müsste schon direkt hier ein Schild stehen, wenn es verboten wäre…“ Unweit von mir sah ich eine Mutter mit ihrem Jungen am Rand des Piers sitzen. Schnur, Schwimmer und Haken waren in seiner Hand. Voila! Der wird’s wissen! Das war genau der Anstoß, den ich gebraucht hatte, um meinen Shorejig keine 10 Sekunden später Richtung Hafeneinfahrt zu feuern, wo Struktur, Strömung und Wassertiefe Fisch versprachen.
Und lieferten. Nachdem ich das lackierte 20g Blei mit aggressiven Sprüngen bis fast vor die Füße befördert hatte, sah ich schwarze Schatten und silberne Flanken hinter dem Köder aufblitzen. Eine nervenaufreibende Jagd begann und wenige Sekunden später, surrte die Bremse meiner Legalis unter der Flucht meines ersten Atlantikräubers kurz auf, dessen spektakulären Biss ich im klaren Wasser bestens mitverfolgen konnte. Der Blank pufferte ein paar gut gemeinte Fluchten ab und kurz darauf hielt ich einen quirligen Baby-Barrakuda in den Händen. YES! Scheiße, tat das gut.
Leider (und das kommt wahrlich selten vor), hatte ich zwecks fehlender Hosentaschen, nichts als meine Rute und eine Box mit 3 Ködern dabei, sodass ich den Jungfernfang leider nicht verewigen konnte. Aber vergessen werde ich ihn nicht, denn so klein er auch war (35 – 40c m), so wichtig war er für meine Motivation.
Voller Vorfreude katapultierte ich den Shorjig erneut Richtung Einfahrt und wurde bereits beim ersten Durchsacker mit einem Take belohnt. Das was jetzt an der Schnur zappelte leistete etwas weniger Gegenwehr und entpuppte sich schnell als Eidechsenfisch. „Das sind also die größenwahnsinnigen, verhassten „Grundeln“ des Atlantik, die so manchen Shorejigger in den Wahnsinn treiben…“ Egal, nehm ich! Ich muss jetzt erstmal Frequenz aufstocken.
Und tat genau dasselbe beim nächsten Wurf. Scheinbar hatte ich sowas wie ein „Lizzard-Nest“ erwischt. „Ok. 3 Würfe. 3 Fische is cool, aber jetzt will ich was Gescheites.“
Und gerade als ich mit Rute über Kopf dabei war den Jig ins Freiwasser zu pfeffern, brüllte es von der gegenüberliegenden Seite der Hafeneinfahrt zu mir rüber: „Uewnffcgx PESCARE xwcxfnhrfcxh!“ Auch wenn ich nichts verstand, ließ der Tonfall wenig Interpretationsspielraum… Ich wagte einen Diskussionsversuch auf Englisch und konterte mit irgendeinem halbgaren Argument, bevor die Gestik des Hafenmeisters eine neue Aggressivitätstufe erreichte und die Worte „Stop – Fishing – NOW“ ihre Wirkung taten.
Innerlich weinte ich Wasserfälle. Diese 5 Minuten Powerfishing hatten mich wieder daran erinnert, wie schön Meeresangeln sein kann und was ich mir von Beginn an erhofft hatte. Ich schwöre ich hätte nichts zu beanstanden gehabt, hätte man mich einfach ein Stündchen mit der Spinnrute spielen lassen. Danach wäre ich tiefenentspannt zu meiner Freundin zurückgekehrt und das Thema Angeln wäre (für diesen Tag) erledigt gewesen.
Jetzt hingegen, befand ich mich in einer psychischen Zwickmühle. Ich hatte Blut geleckt aber meinen Durst nicht stillen können. „Wie muss dieser Spot bitte bei Nacht abgehen?… Da ziehen sicher ultra die Monster rein… Vielleicht würden die mich dann von der anderen Seite nicht mehr sehen…“, kreiste es mir bei meinem Fußmarsch zurück zum Strand durch den Kopf. Angesichts dessen, dass ich immer noch keinen gültigen Schein hatte und der Hafen nicht befischbar war, verbannte ich die gefährlichen Gedanken schnell wieder aus meinem Geist. (Dämpfer numero tre)
Stattdessen unterbreitete ich Nici den Vorschlag, bald aufzubrechen um pünktlich zum Sonnenuntergang (aka Beisszeit…) am Punta de Teno (westlichster Punkt der Insel in Form einer Landzunge) zu sein, der es bereits innerhalb der Urlaubsvorbereitung in die obersten Ränge der To-Do-Liste geschafft hatte, weil Lage und Landschaft besonders eindrucksvoll waren und die Beschaffenheit der Felsen ein hohes Fischvorkommen versprach. Überall dort, wo Klippen weit in das Meer hinausragen und in Wurfweite gelegene große Tiefen gepaart mit Strömung vorzufinden sind, sind Räuber garantiert nicht weit. In meiner Vorstellung spazierten wir durch die eindrucksvolle Landschaft, genossen den Ausblick und die untergehende Sonne und gewährten mir ein bisschen Barrakuda-Battle zur Primetime im Low-Light. In der Theorie ein fairer und solider Plan.
In der Praxis ein Disastar. Nachdem uns eine Stunde lang das komplette Pensum an Höhenunterschieden und Serpentinen den Schweiß auf die Stirn getrieben hatte, empfing uns 20 Minuten vor dem Ziel eine Frau mit Warnweste, deren Jeep zusammen mit einer mobilen Schranke die Spur blockierte. Am Straßenrand befand sich ein Schild, das neben ein paar für mich nur zu erahnenden spanischen Begriffen Uhrzeitangaben enthielt, sodass der Grund für das Durchfahrtverbot relativ schnell klar war: Bis 10 Uhr morgens oder ab 19 Uhr abends darf man rein. In der Zeit dazwischen kommt man nur raus. Grund: Schonung des Landschaftsschutzgebietes und seiner Bewohner, insbesondere irgendwelcher Vögel. Da frage ich mich, wie den Tieren geholfen ist, wenn man die Durchfahrt zu ihren Aktivitätszeiten (Dämmerung, Nacht) erlaubt und tagsüber – wenn sowieso 90 % der Fauna Siesta macht – verwehrt. Ich bin Befürworter jeglicher Naturschutzmaßnahmen, aber sie müssen halt auch Sinn ergeben…
Neben uns, trudelte noch etwa ein Dutzend weiterer Wägen ein, deren Insassen ziemlich sicher das gleiche Ziel hatten wie wir. Und mit noch größerer Sicherheit, saß niemand von ihnen auch nur annähernd auf solch glühenden Kohlen wie ich. Die 45 Minuten Warten vergingen nicht wie am Fließband, sondern so als würde man am Fließband arbeiten und eine Uhr vor sich hängen haben. Mein Fuß wippte wie die Spitze einer Dropshotrute. Den Sonnenuntergang haben wir verpasst und mit ihm die heiße Angelphase. Nicis Wunsch, einfach mal einen Tag entspannt am Strand zu verbringen war ebenfalls verpufft, da wir erst mittags in Los Gigantes waren und bereits ein paar Stunden später den Location-Wechsel machten. Die Luft im Mietauto wurde dick. Ich vertrieb meine Zeit damit, die gierigste Geflügel-Armee der Welt mit Chipsresten zu versorgen, was die undankbaren Viecher dazu brachte, zu versuchen mich anzuspringen und ins Auto zu gelangen. Wenn der Landschaftsschutz in ihrem Sinne stattfand, hielt sich mein Verständnis in Grenzen.
Um 19 Uhr dann die Erlösung. Ein paar landschaftlich spektakuläre Kilometer weiter endlich See in Sicht. Viel Licht gab es nicht mehr. Dafür viel Wind. Den mit Abstand stärksten den wir bis dato auf der Insel erlebt hatten. Die Autotür musste aufgestemmt werden. Traf er einen frontal, wurden die Klamotten so hart an den Körper gepresst, dass man einzelne Haare durch den Stoff hätte erkennen können. Um den anderen zu verstehen, musste man sich so unterhalten, als stünde man in der Frontreihe eines Death-Metal Konzerts. Zusammen mit den 20 anderen Touris die zeitgleich zur Spitze der Halbinsel mit uns pilgerten, war von Entspannung und der geplanten Abendromantik nicht viel zu spüren. Die Stimmung war am Tiefpunkt und zu allem Überfluss war bereits seit der zweiten Tageshälfte „Neuro-Nebel“ im Kopf aufgezogen. (Dämpfer numero cuatro)
Angeln hatte ich schon abgeschrieben, bis ich einen Local samt Tackle auf dem Pfad Richtung Wasser eilen sah. Sein Schritt verriet mir, dass auch er sich über den Wert der Dämmerungsphase bewusst war. Das musste ich mir genauer anschauen (auch wenn ich eigentlich nicht wollte.)
Nici bestärkte mich, die Ruten zu holen, auch wenn sie es – verständlicherweise – vielleicht nicht so meinte. Sie hatte an dem Tag schon gut wegstecken müssen und wusste gleichzeitig, was es mir bedeutet. Aber auch das schönste Hobby der Welt macht keinen Spaß, wenn es in zwischenmenschlichen oder zeitlichen Drucksituationen ausgeübt wird. Nur würde ich wahrscheinlich nicht mehr so schnell hierher kommen…
Trotz der mehr als unentspannten Lage und Verfassung, packten wir das Tackle und kämpften uns gegen den Wind durch die raue Felslandschaft hangabwärts, bis wir uns am Ufer des bisher wohl vielversprechendsten Spots wiederfanden. Von Gestein umgeben, war man hier verhältnismäßig windgeschützt während abseits der Naturmauern die Welt unterging. Man stand erhöht auf einer Art Betonterrasse, von der aus eine steile Steintreppe direkt ins Meer führte. Das war genau die Stelle die mir bereits bei Google Maps aufgefallen war und der am weitesten von Land ins Wasser ragende begehbare Ort der Halbinselformation, der sowohl das Angeln entlang von unterschiedlichen Steinsturkturen als auch im offenen Wasser ermöglicht. Gleichzeitig prallen hier die ablandigen Winde zusammen und vereinen sich zu einem (spürbar) mächtigen Rückenwind in Wurfrichtung, dessen Kräfte wie ein Katapult auf den ausgeworfenen Köder wirken. Kurz gesagt: Der perfekte Spot!
Das wussten nicht nur der Sprinter und ich, sondern auch drei weitere Einheimische die sich samt Ansitzausrüstung die Pole-Position auf den Felsen gesichert hatten. So tänzelten neben unseren Kunstködern mehrere Knicklichter über die schwarzen Wellen. Ganz in Ufernähe… Die werden schon wissen wo die Räuber lang ziehen… Der Barracuda-Flüsterer, welcher vor mir den Spot erreicht hatte, kurbelte in amtlicher Geschwindigkeit einen schlanken Orange-Roten Wobbler knapp unter der Oberfläche. Bingo – genau die Farbe und Form, die auch ich in meinen Snap gehängt hatte. Nur ist der Duo Tide Minnow mit seinen 17 cm etwas länger und aerodynamischer gebaut als das Modell des Lokalmatadors. Doch auch wenn ich der Meinung war, den besseren Köder zu haben, der Einheimische hatte durch seine Standfestigkeit die Nase vorn, was mit „die Rutenspitze unten“ gleichzusetzen war. Trotz des Windes, stand er seelenruhig direkt an der Kante unserer Terrasse, während sein Oberkörper samt Rute über das Wasser ragte, womit er den Stecken Richtung Wasseroberfläche richten und die überschüssigen Höhenmeter ausgleichen konnte. Ganz im Gegensatz zu mir.
Ich torkelte durch die Böhen in fast schon peinlichem Sicherheitsabstand zum Felsvorsprung und gab mir aller größte Mühe, nicht meinem Schwindel zu erliegen. Der Blank verlief somit fast parallel zum Boden, der Wobbler tauchte nicht tief genug. „Früher wär ich derjenige gewesen, der spielend auf der Kante balanciert.“, dachte ich mir während ich wie ein Altenheimbewohner versuchte, meinen Stand zu stabilisieren.
Ich arbeitete mich cm um cm vor, nur um beim nächsten Windstoß wieder zurückzuweichen. Zu angeschlagen meine Koordination, zu abgeschlagen mein Kopf. Ich jagte meinen „Tidi“ so gut es ging die Felswände entlang, warf ein paarmal in die offene See, bevor ich dann wieder in gemächlicherem Tempo die Klippen absuchte. Es roch nach Fisch. Aber stank stark nach Schneider… Irgendwie hatte sich der Widerstand des Köders verringert. Zu Großer Schnurbogen? Zu hoher Stand? Ein Blick im Schein der Kopflampe ließ mich seufzen: Tauchschaufel ab. Thank you rocks… Schlusspfiff. Auch der einheimische Spinnfischer war mittlerweile erfolglos abgezogen. Der Wind wütete, ich wankte, Nici wartete. Wir fuhren. Nächste Niederlage (numero cinco)… Aber ich nahm mir fest vor, wiederzukommen.
Nächster Tag. Traumstrand im Norden Teneriffas. Unberührt berührt nunmal am meisten. Girlfriendtime. An Angeln wegen des extremen Wellengangs und flach auslaufender Strände ohnehin nicht zu denken. Girlfriendtime.
Abends der lang ersehnte Versuch an der Mole in Santa Cruz. Auf Navionics und Maps bereits vorgemerkt, vom Tackleshopbesitzer bestätigt. „Very good spot!“, hatte mir der hilfsbereite Spanier versichert.
Meine Finger juckten… Doch meine Füße zitterten: Nachdem ich die ersten Betonquader bestiegen hatte, rutschte mir das Herz in die Hose: „Wie zum Teufel soll ich da runterkommen?!“ Die riesigen Wellenbrecher waren in jeweils unterschiedlichen Winkeln zueinander aufgeschüttet worden, sodass sich zwischen ihnen große Hohlräume gebildet hatten. Die Spalten waren teilweise so tief und dunkel, dass man den Boden nicht sah, lautes Rauschen und Klatschen ließ allerdings erahnen, dass sich „irgendwo dort unten“ Wasser befinden musste. Was für ein lausiger Tod das sein muss, in so einer Unterwasserhöhle erst an Felswänden zu zerschmettern, um danach elendig zu ertrinken. Ich schluckte bei dem Gedanken, vor Nicis Augen einen Suizid hinzulegen und stoppte meine Klettertour an dem Punkt, als die schiefen Betonflächen unter mir dunkler wurden, und – von einem grünen Belag überzogen – feucht zu schimmern begannen.
„Sicky Ricky“ ist halt nicht „Super Mario“… Ich stand noch eine Weile auf dem letzten für mich begehbaren Stein und spielte im Kopf alle möglichen Kletterrouten durch, die mich, zwei Reihen weiter, direkt an die Wasserkante führen würden. Fehlanzeige. Egal welchen Weg ich wählte, jeder davon würde für mich mit ziemlicher Sicherheit ins Reich der Krabben befördern.
Es fehlten vielleicht 5-6 Meter. Aber die zu gehen, würde bedeuten, mindestens die gleiche Distanz zu stürzen. Nicht unweit von mir hatten Locals den einzigen Stein besetzt, der irgendwie begehbar gewesen wäre… Fuck it.
So muss sich ein hungriges Krokodil fühlen, wenn es das Gnu aus dem Wasser geschafft hat und das Reptil ausgehungert zurückbleibt, die Beute im Blick aber außerhalb der Reichweite. Meinen Shorejig warf ich dennoch mehrmals aus, wenn auch mein Wurfradius extrem eingeschränkt war und Drill + Landung eines großen Fisches garantiert in die Hose gegangen wären. Ich rang noch ein paar Minuten mit meinem Gewissen, bevor ich mich entschied das „Richtige“ zu tun und kehrt zu machen. Eines der wenigen Male, wo Vernunft über Fischgeilheit gesiegt hatte.
Bin halt doch schon irgendwie 30…
Angesichts der wunderschönen Location und Unbegehbarkeit des Spots eine (noch) verschmerzbare Niederlage, dennoch Klatsche Numero seis
Zeitlich für mich nicht mehr einzuordnen, hatten wir im Laufe der ersten paar Abende einem kleinen Hafen nahe unseres ersten Apartements in Punta Prieta einen Besuch abgestattet – natürlich ohne Erfolg. Jetzt nach der Mole folgte der zweite Try, der kleine Port lag „quasi auf dem Weg“ nach Hause. Mittlerweile war es dunkel. Wir parkten das Auto und liefen entlang der in die Jahre gekommenen Hafenhallen zur Spitze. Vorbei an stinkenden Fischnetzen, löchrigen Krabbenkäfigen und beschwippsten, zugerauchten Kartenspielern, die uns via misstrauischem Kopfnicken unter Tuscheln grüßten – real ´Riffa Romance.
Die Atmosphäre war „girlfriend-aproved“: Funkelnde Lichter, Bootssilhouetten, das Rauschen des Meeres, eine milde Brise (wobei sich abseits des Schutzes der Hafenmauern das „M“ ganz schnell in ein „W“ verwandelte). Wir teilten uns die Hafeneinfahrt mit einem halben Dutzend anderer Ansitzangler. Viel Platz zum Spinnfischen blieb mir nicht und wirklich erfreut schienen sie über den „mobilen Eindringling“ nicht zu sein. Ich verschwand im Schatten der windigen Außenmole und krakselte im Mondschein auf die tückischen Betonquader. Im weißen Schein des Vollmondes sah ich die atlantischen Brecher wir Eisberge auf mich zurasen und an den Felsen zerschellen. Die Gischt spritzte mir ins Gesicht. Was für eine Kulisse, um Meeresmonster zu haken…
Oder ohne jeglichen Fischkontakt abzuziehen. Nach 20 Minuten Wobbeln und Gummileiern, ließ ich den Shad samt Darting Head in der Steinpackung stehen und sah beim Anblick der zusammengekauerten, aufs Handydisplay starrenden Freundin davon ab, mich bei gefühlten 100 km/h Wind einem neuen FG zu widmen. Die heiße Dämmerungsphase war ohnehin vorbei, diese hatte ich ja damit verbracht, mir auf der Mole in Santa Cruz in die Hose zu scheißen… Bis zum einige Stunden entfernten Tidal Change zu warten, kam ebenfalls nicht in Frage. Klatsche Numero siete
Rematch an den Rocks
An unserem vermutlich (zeitlich genau kann ich das nicht mehr einordnen) vor(vor?)letzten Tag machten wir uns früh morgens erneut auf den Weg Richtung Punta del Teno. Die Windapp versprach Gnade, der Tidenwechsel fiel auf den Mittag. Laut Online-Info gehört der Ort zu den besten Schnorchelplätzen, der Insel und bietet – mit ein bisschen Glück – die Möglichkeit, Meeresschildkröten zu begegnen. Der Gedanke, dass auch meine Freundin auf ihre Kosten kommen würde, beruhigte mein Gewissen.
Früh genug (vor 10 Uhr) passierten wir die Grenze zum Nationalpark und wurden von der typischen Kanaren-Kombi „Sonne & Wind“ empfangen. Der Forecast hatte mal wieder ganze Arbeit geleistet und sich bezüglich der Luftmassengeschwindigkeit um gut 40 km/h geirrt.
„Traumbedingungen“ fürs erhoffte Schildkröten-Spotting mit Schnorchel… Ich schluckte. Nici seufzte. Aber flexible Freundinnen haben stets ein Buch dabei. <3.
Und fischgeile Gummikinder Rückenwind. Am Spot angekommen, ließ uns auch dieses Mal die Anwesenheit einheimischer Angler nicht an der Richtigkeit unserer Stellenwahl zweifeln. Drei Männer hatten es sich auf der Betonterrasse samt 4-5 m langen Ruten, Posen und Brotflocken gemütlich gemacht.
Sollte mir recht sein, ich wollte auf die Steine, wo die Strömungen zusammentreffen und Rückenwind bläst. Nici versank in ihrem Roman wie mein Jig im Atlantik. Die STC Monster katapultierte die bunt gestreiften Geschosse Richtung Horizont, glich diesen Vorteil hinsichtlich meiner verkümmerten Armmuskulatur auf Grund ihres Gewichts schnell wieder aus. Guten Gewissens kann ich den (hoffentlich wenigen Kranken) unter euch sagen: Shore Jigging und CFS bilden keine Partnerschaft fürs Leben. Die Technik selber macht großen Spaß, wird dank der hohen Einholgeschwindkeit und Rutenlänger allerdings schnell anstrengend und ist (auch für Gesunde) als kleines Workout zu betrachten.
Ich war gezwungen, langsamer zu fischen und nach jedem Wurf eine kurze Pause einzulegen. So war es mir möglich, den Prozess 30-45 Minuten durchzuführen. Ob ich wirklich einen Volleinschlag herbeisehnte, wusste ich selbst nicht so recht. Meine Muskeln zitterten bereits vom Einholen des Köders.
Die Rute ging nicht krumm und ich beschloss der Blankerei auf anderem Wege ein Ende zu setzen. Was tut man, wenn der „Hecht“ nicht beißt? „Stippen“… In diesem Fall: Dropshotten. Rockfishing mit kleinen Lures ist im Meer stets lukrativ. Egal wo ich bisher war, konnte ich so (zumindest kleine) Erfolge verbuchen und mich bei Laune halten. So auch dieses Mal.
An einem 10 g Blei schickte ich den 4 Inch Hog Impact nach „Atlantis.“ Es dauerte nicht lange und der erste Bewohner attackierte den Eindringling. ZACK. Sitzt. Die Nano-Version eines Groupers zappelte am Haken und bildete den Auftakt einer unterhaltsamen Vertikalsession.
Wenige Minuten später ging die Megaforce bis ins Handteil krumm und zwang mich zu einem forcierteren Drillverhalten. Im tiefblauen, glasklaren, Wasser sah ich einige Meter unter mir die rote Flanke eines ca. 35 cm langen und kugelrunden Fisches aufblitzen. Was es war, kann ich leider nicht sagen, denn er verabschiedete sich innerhalb der nächsten Sekunden wieder in die Tiefe. „Scheiße“… Der Hautbeschaffenheit, Form und Farbe nach zu urteilen, hätte ich auf einen Seehasen getippt, glaube aber, dass die Kanaren nicht zu ihrem Verbreitungsgebiet zählen. Andernfalls war mir ein verdammt großer Skorpionfisch oder eine sonstige Barschart abhandengekommen.
Hochmotiviert ließ ich das Krebsimitat weiter vor der Unterwasserhöhle tanzen und konnte, ein paar für ihre Größe recht kampfstarke Eidechsenfische für meinen Köder überzeugen. Am feinen Gerät definitiv ein würdevoller Zeitvertreib, falls die Großen nicht wollen. Abgesehen davon, fischt man hier mehr im Sinne des Überraschungseffekts als für einen bestimmten Zielfisch. Bunt und skurril ist alles, was man sich dabei vornehmen sollte.
Nach einigen Köderwechseln und Eidechsenfischen mehr, schienen die Atlantisbewohner den Braten gerochen zu haben und ich beschloss, mich erneut dem groben Gerät zu widmen. Leider ohne Erfolg. Die Kombination aus sengender Mittagshitze, Muskelschwäche und einer schattensuchenden Nici, ließen mich vernünftig handeln und den Vorschlag machen, dass sie sich einen zu 100 % badetauglichen Strand irgendwo auf der Insel aussuchen könnte, zu dem wir fahren würden. Die Rechnung am Punta del Teno bleibt also offen. Keine Klatsche, aber durchaus eine sanfte Rückhand. Nummer 8 um genau zu sein.
Beim besagten Strand handelte es sich um eine Privatbucht des bescheidenen Hotelanbieters Ritz, den man überraschenderweise auch als Ottonormalverbraucher und Nicht-Gast aufsuchen durfte. Ich lud Nici samt Kram ab und fuhr wieder den Berg hinauf. Parkmöglichkeiten am Wasser gab es nämlich keine. Wozu auch, wenn eine hauseigene Lokomotive die Gäste der Anlage vom einen ins andere Paradies befördert. Die 200 m Fußmarsch kann man schließlich niemandem zumuten. Außer mir, der seinen unwürdigen Mietwagen einen knappen Kilometer entfernt abstellen musste und damit das fünffache der Zugstrecke zu Fuß zurücklegen durfte.
Zurück am Strand, stampften wir – vollbepackt mit löchrigen Alditüten – in verdreckten Outfits vorbei an der Elite, in deren Blicken wir eine Mischung aus Abscheu, Mitleid und Verwunderung zu erkennen glaubten. Die im Vorfeld heiß diskutierte Idee, sich einmal in diesem Urlaub eine Liege samt Sonnenschirm zu gönnen, verpuffte just in dem Moment als wir vom Mietpreis erfuhren. Läppische 30 Euro für das Grundbedürfnis „Schatten“ verlangte das professionell lächelnde Personal. Ein Trinkgeld für ¾ derer, die sich dazu entschlossen hatten, auf den Plastikmöbeln vor sich hin zu dösen.
Kurzerhand taten wir das, was zwei alditütentragende Billo-Touris in so einer Situation eben tun. Wir krochen in eine kühle, schattige Höhle abseits der Reichen und Schönen, wo wir es uns auf dem steinigen, unebenen Boden bequem machten. Wer braucht schon eine Liege, wenn er Spinnen, Staub und spitze Felsbrocken haben kann?
Zugegebenermaßen war die Bucht ein Traum und perfekt zum Baden und Schnorcheln geeignet. Kristallklares blaues Wasser, interessante Steinformationen und die windgeschützte Lage bescherten uns einen wunderschönen Nachmittag (fast) ohne Fisch. Dank DS, entlockte ich auch hier den Felsen ein paar Gummi-gierige Bewohner und ärgerte ein paar fette Krabben. Obwohl 5 – 8 m tief und reich strukturiert, schien mir der Ort (vor allem Richtung offenes Meer) insgesamt betrachtet etwas zu flach, als dass sich dort wirklich große Fische tummeln würden. Zumindest tagsüber. Nachts ziehen auch dort mit Sicherheit ein paar Räuber ihre Bahnen. Ich komme wieder.
„Die ganze Welt dreht sich um mich, denn ich will nur nen dicken Fisch.“ – Das Finale
Gemästet vom unverschämt leckeren Essen am Vorabend in der Altstadt Puertos, ließen wir es am letzten Tag gemütlich angehen. Nicis Wunsch, entspannt in der Sonne zu brutzeln, sollte diesmal endlich Realität werden. Ebenso wie meiner, ein paar Fische ans Band zu kriegen. Wir entschieden uns für den Strand in Santa Cruz im äußersten Südosten der Insel. Die europäische Version der Copa Cabana. Sicher keine der naturbelassenen Perlen Teneriffas, aber angesichts der hektischen Woche, ein Luxus, den wir uns einmal gönnen wollten. Vor vielen Jahrzehnten wurde hier (wie ich im Nachhinein erfuhr) der Sand künstlich aufgeschüttet, um dem knappen Vorkommen an touritauglichen Badestränden etwas entgegenzuwirken . Die beachtliche Länge, windgeschützte Lage am Fuße der Bergkette, sowie die zum Zwecke des Wellenbruchs errichtete Buhnen machen ihn wohl zu einem der attraktivsten Strände für viele Urlauber und all jene, die mit Wind und Wellen wenig Sympathie hegen. Besagte Steinschüttungen boten auch mir die nötige Beschäftigung. Und zogen mich so sehr in ihren Bann, dass ich „vergaß“, den letzten Tag des Urlaubs mit dem Menschen zu verbringen, dank dem ich diesen Urlaub überhaupt in der Lage war anzutreten… So verbrachte Nici den Nachmittag mehr oder weniger allein auf der Liege, während ich wie ein 10 Jähriger Junge über die Buhne hopste und – man mag es kaum glauben – Fische fing.
Es war Lowtide und eine denkbar unproduktive Tageszeit, sodass Kunstköder keinen Erfolg brachten. So entschied ich mich, ein wenig in die Vergangenheit zu reisen und rüstete mein Spinning Gear zur Matchrute um. Drennan Pose, Kugelblei, 0.22er Vorfach mit 10er Haken und Muschelfleisch – ein Sure Shot am Meer. Ich hatte mich an der Stelle positioniert, wo Buhne und Querbuhne aufeinandertreffen und einen Engpass bilden. Je nach Tide drückt es hier das Wasser in amtlicher Geschwindigkeit rein oder raus – Nahrung und Strömung en masse. Ich liebe Spots, bei denen man sich des Fischvorkommens sicher sein kann.
Nach ein paar vehementen, verpassten Bissen während der Schwimmer Drift, tauchte die Pose erneut ab und signalisierte den richtigen Zeitpunkt für den Anhieb. HÄNGT! So fing ich eine Hand voll dieser kleinen, Trevally-artigen Räuber (keine Ahnung was das genau ist), die am leichten Gerät ordentlich Rabatz machten. Wie fast alles im Meer…
Nachdem der Schwarm weitergezogen schien (oder die Fischchen dazugelernt hatten) verlegte ich meine Driftstrecke 20 m weiter und wurde keine 30 Sekunden nach Eintauchen der Montage mit diesem gefräßigen, akrobatischen Silberpfeil belohnt:
Beflügelt von den beissfreudigen Meeresbewohnern, beschloss ich meine Euphorie mit Nici zu teilen, servierte ihr einen Sangria + Oliven von der Strandbar und unterbreitete ihr den Vorschlag über den Sonnenuntergang hinaus am Strand zu bleiben. Unter dem Deckmantel der romantischen Zweisamkeit verbarg sich gleichzeitig der egoistische Plan auf Rochen und Barracuda zu angeln. Ich konnte nicht anders.
Sozial, unkompliziert und empathisch wie meine Freundin ist, willigte sie ein oder – besser gesagt – widersprach mir nicht. Klar gibt es Schlimmeres als zu zweit unter dem Sternenhimmel am Strand zu sitzen und nebenbei zu angeln, aber ich hatte es (wohl absichtlich) so verlockend und begeistert formuliert, dass sie wahrscheinlich ein schlechtes Gewissen gehabt hätte, einen anderen Vorschlag zu machen. Beinahe manipulativ… Vielleicht kennt der ein oder andere von euch diese Situation? Wie man als Youtuber so schön sagen würde: LEUTE, SCHREIBT‘S IN DIE KOMMENTARE!
Und so lag eineinhalb Stunden später die Sardine auf Grund. Die Sonne sank… zusammen mit Nicis Motivation. Während sie die Spitze der STC Monster im Auge behielt, stand ich 30 m weiter am Buhnenkopf und feuerte verbissen meinen Wobbler in die Wellen. Wieder und wieder. Mit der Dämmerung, erlebten wir auch den Tidenwechsel von Low- zur Hightide, das Wasser befand sich zur „heißesten“ Tageszeit also an seinem absoluten Tiefpunkt, sodass die Steinpackungen ordentlich frei lagen und die Lücke zwischen ihnen noch kleiner wurde.
An zahlreichen Spots sicherlich auch eine fängige Phase, am Strand von Santa Cruz allerdings, versprach ich mir deutlich mehr vom Umschwung in umgekehrter Form. Tieferes Wasser, stärkere Strömung, geringere Sichttiefe und ein höheres Nahrungsangebot würden die Fangchancen erheblich steigern, davon war ich überzeugt. Vor meinem inneren Auge sah ich die Rochen mit steigendem Pegel langsam in das Badebecken gleiten und im Schutz der trüben Brühe den „Staubsaugermodus“ aktivieren. Sechs weitere Stunden auf besagtes Szenario zu warten, hätte aber an Menschenverachtung gegrenzt und so packten wir kurz nach Einbruch der Dunkelheit zusammen – fischlos. Da wir beide krankheitsbedingt nervigen Verzichtsdiäten unterliegen, war auch nix mit „eben mal Pizza holen“. Ich versprach meiner ausgehungerten Freundin, rechtzeitig vor Restaurantschluss daheim zu sein und tat ihren Vorschlag ab, irgendwo in Santa Cruz eine glutenfreie Pizzeria aufzusuchen. Nicht, dass mich der Algengestank, die Sardinenschuppen im Gesicht, oder die Lehmflecken auf der Badeshorts (die aussehen, als hätte man die Calamari vom Vortag nicht mehr halten können) davon abgehalten hätten, ein Restaurant zu betreten, doch meine Medikamente, die ich parallel zum Essen einnehmen sollte, waren im Appartement geblieben. Und so eine Dusche war angesichts dessen, dass ich roch wie eine abgelaufene Thunfischdose auch nicht die schlechteste Idee.
„Kein Problem, packen wir easy“, sprach das Orgatalent. „Ey, es tut mir so leid, das hätte ich ja nicht wissen können.“, korrigierte ich eineinhalb Stunden später. Doch hätte ich… Erstens wussten wir, dass die meisten Läden um 23 Uhr dicht machten und zweitens gab es Google (von dem Nici zwei Stunden zuvor Gebrauch gemacht hatte).
Und so stieg der Atompilz in die Luft… Tränen, Schreie, knallende Türen. Die Laune hatte sich durch den Keller bis zum Erdkern gegraben und ließ unseren Pärchen-Planeten detonieren. Nici lag schluchzend im Bett, während ich wortlos auf dem Balkon saß und in die Leere starrend auf dem vermutlich unterdurchschnittlichsten Stück Pizza kaute, dass Puerto dela Cruz zu bieten hatte. Komisch, ich hätte Nicos STC Monster darauf verwetten können, dass die Küche eines an der Hotelmeile gelegenen Touri Golfclubs, etwas mehr kulinarische Hingabe aufbringen würde. Der Fight und das Loch im Bauch, hatten mich über die billigen Neonreklamen und pixeligen Fotomontagen auf den ausgestellten Menükarten hinwegsehen lassen und dazu gebracht, wie ein Zombie ins letzte offene Restaurant zu torkeln, wo ich meine Therapiemaßnahmen über Bord warf.
Mein Körper war am Ende, der Gedankenstrom hatte mal wieder „Niedrigwasser“. Zusätzlich entfaltete der Cocktail aus unerlaubten Nahrungsbestandteilen seine Wirkung und ließ meinen Hirnnebel immer dichter werden. Gleichzeitig kam ich mir vor wie das letzte Arschloch, was ich zweifelsohne auch war. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste raus.
„Ich fahr jetzt.“, sagte ich in einem kalten Ton. „Wohin?“, schnauzte Nici. „Irgendwo ans Meer. Ich muss ans Wasser.“, gab ich von mir. Nicis verheulte Augen irgendwo zwischen Verachtung und Sorge, ließ sie mich gehen. Ich selber wusste nicht so recht, was ich da tat. Der Zustand, in dem ich mich zeitweise befinde, erlaubt weder logisches Denken noch Emotionen. Reaktion und Sicht sind zeitweise ebenfalls stark eingeschränkt. Von der Schwäche und den Schmerzen ganz zu schweigen. Ich fühlte mich absolut nicht in der Lage, Auto zu fahren… und tat es vielleicht genau deswegen.
Den Kofferraum voller Tackle flog ich über die Autobahn durch die Nacht. Orangene Straßenlichter rauschten an mir vorbei. 2 Uhr nachts. Kein anderes Auto weit und breit. Die Insel schlief tief und fest. Häuser, Häfen und völlige Dunkelheit wechselten sich ab.
Ich fuhr die Küstenstraße entlang, vorbei an funkelnden Bohrinseln und riesigen Kreuzfahrtschiffen, die bei Nacht aussehen wie ganze Städte.
45 Minuten später kam ich auf einem dunklen Parkplatz zum Stehen und stieg aus. Mit Backpack auf dem Rücken und Spinnrute in der Hand lief ich los. Zum Buhnenengpass am Playa die Santa Cruz, wo ich nur wenige Stunden zuvor gewesen war. Der tidal change stand bevor.
Die Magie des Moments war unbeschreiblich. Milde Seeluft, Sternenhimmel, eine leuchtende Bohrinsel am Horizont, das Rauschen des Ozeans… und das Rumoren im Darm. Letzteres blendete ich aus. Mein Fokus galt einzig und allein dem Lauf meines Tide Minnow und der Hand die den Rutenblank umklammert hielt. Der Schein des Vollmonds ließ mich genau erkennen, wo mein Köder landete, was mir erlaubte, den Strömungsstarken Spot präzise und systematisch zu befischen. Ich kurbelte zügig, variierte zwischendurch die Geschwindigkeit und legte ein paar wenige, dosierte Spinnstops ein.
Die dubiosen, an den Lieferwagen gelehnten Gestalten vom Parkplatz blendete ich aus. Ebenso wie den Streit mit meiner Freundin und den Rest meines Lebens. Alles was zählte, war die Gegenwart.
Und plötzlich… stand die Zeit still. Ein heftiger Schlag durchfuhr mein Handgelenk! BOOM. Vom nächtlichen Zetti-Wobbeln gebrandmarkt, setzte ich den nötigen Anhieb und der Stecken war krumm! „Das ist er“. „Das ist DER eine Fisch auf den ich die ganze Woche gewartet habe“. „Das ist die letzte Chance, die ich krieg“. 6 Stunden vor Abflug.
Schwere Kopfstöße gefolgt von einem längst vergessenen BZZZZZZZ, machten schnell deutlich, dass es sich dabei um ein anderes Kaliber handelte, als jene die sich tagsüber mit der Light überlisten ließen. Die Bremse surrte, die Rute wippte. Meine Knie waren weich. Der Drill hart. Dafür kurz… und sportlich. Drei Minuten, wenn ich schätzen müsste. Ich zitterte und suchte im Schein der Kopflampe nach den leuchtenden Augen. „DA!“ Die spitze, von Zähnen besetzte Schnauze ragte aus dem Wasser, das silberne, dunkel gestreifte Schuppenkleid reflektierte das Licht und gab die Identität des Fisches preis.
Ich wartete die nächste Welle ab, ließ sie das Tier an die Steine drücken und packte zu. Fester, als eine Mutter die ihr Kind davor bewahrt, vor den fahrenden Zug zu springen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hielt ich ihn in den Händen. Den Fisch des Trips. Den Fisch des Jahres. Meinen ersten fetten atlantischen Barrakuda.
Alles war egal. Der Streit. Die Krankheit. Ich badete in Endorphinen. 2 Uhr morgens alleine irgendwo im Atlantik. Niemand da, um meine Freude zu teilen. „Außer Dir, Fisch.“
„Danke für deine Zeit… Und Danke, dass du mich wieder zurückgeholt hast“. Zu den Lebenden. Wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.
Die amateurhafte einhändige Messung ergab 96 cm, vermutlich ein klein wenig mehr… Ein paar Selfies für die Ewigkeit, bevor ich die Kreatur zurück in ihr Reich entließ. Anders als bei Süßwasserfischen (vor allem aus Stillgewässern) hat der Release eines Meeresräubers immer etwas Melancholisches. Zumindest für mich. Die Begegnung mit demselben Tier wird es nie wieder geben, also halte sie gut fest. Im Kopf und auf der Speicherkarte.
Ich inhalierte die Meeresluft, ließ den Rausch noch ein wenig nachwirken und machte ein paar letzte obligatorische Würfe der Vollständigkeit halber, nur „für den Fall der Fälle“. Nichts. Egal. Habe bereits „alles“.
„Das wars für dieses Jahr“. Ich hing den Drilling in den Ringsteg und lief zurück zum Parkplatz. Vorbei an den Palmen und dubiosen Gestalten.
So niederschmetternd das Gefühl bei der Hinfahrt gewesen war, so beflügelnd war es auf dem Nachhauseweg. Ich schwebte mit einem breiten Grinsen durch die spanischen Lichtermeere, hörte Techno und verschickte Sprachmemo-Monologe an meine Jungs.
Zuhause angekommen, lehnte ich die Rute an die Wand, schlüpfte aus meinen durchnässten Latschen (Fischlandung hatte Prio), streifte die Kleidung ab und glitt ins Bett. Ich schlief sofort ein, mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Warum ist dein Schuh nass?“, fragte meine Freundin am nächsten Morgen. Ich strahlte. „Wieso grinst du so?“, hakte sie nach. „96 cm.“, sagte ich in gedrosselt euphorischem Ton. Nici ließ es unkommentiert und wir packten weiter unser Zeug.
Später hatten sich die Wogen geglättet und ich lag wieder auf Nicis Schoß. Den ganzen Flug über dachte ich an den Barracuda und daran, dass ich im kommenden Jahr wieder auf dieser Buhne stehen würde. Ohne den Last Minute Fight mit Nici, hätte es den Last Minute Fight mit dem Fisch niemals gegeben. Verrückt, wie nah Glück und Leid manchmal beieinander liegen. Dieser Umstand hat mich zum Schreiben inspiriert. Und dieser Fisch mich wieder daran erinnert, wofür es sich gelohnt hat, all die Jahre durchzuhalten und zu kämpfen. Um das Leben wieder lieben zu lernen. Mit all seinen Höhen, Tiefen und unvorhergesehenen Wendungen.
Ein letztes Giant-Grouper-großes Danke an jeden für seine Hilfs- (und Lese-)bereitschaft. Denn auch ohne euch, wäre dieser Bericht niemals entstanden. Ich hoffe ihr habt beim Lesen denselben langen Atem wie ich beim Genesen. Ungeachtet des bescheidenen Fangerfolgs war es der Anfang meines neuen Lebens. Der erste von hoffentlich unzähligen Trips mit den Menschen, die ich liebe. Ich mache da weiter, wo ich vor meinem Zusammenbruch aufgehört hatte und lasse in Zukunft wieder öfter von mir hören. Das nächste Mal mit mehr Fotos und Fischfrequenz. Versprochen. Bis zum Fang des Cudas, hatte ich nie geplant, diesen Bericht zu schreiben und hätte ich ihn am ersten Tag gelandet, wäre es ebenfalls keinen Zwanzig-Seiter wert. An Fotos habe ich aufgrund des Zustands nur selten gedacht, daher gilt der Dank an dieser Stelle meiner Freundin, die fleißig ihren Instagram Feed gefüttert hat. An dieser Stelle hoffe ich, dass meine Worte euch das Eintauchen in unser kleines Abenteuer ausreichend ermöglicht haben.
Und ehe ich es vergesse: Jeder, der in einer ähnlichen Lage steckt und nicht mehr weiterweiß, sei es CFS und/oder chronische Borreliose, kann sich bei mir melden. Ich bin kein Arzt, kenne mich aber mittlerweile sehr gut aus. Es gibt immer Lösungen und Wege, rauszukommen. Ebenso ein paar wenige spezialisierte Ärzte, die helfen. Lasst euch nicht so lange hängen wie ich, sondern zieht die Notbremse, solange der Zug nicht vollständig entgleist.
Bleibt gesund. Much love
the reborn rubber child