Fangberichte Gianni I
Zwei Tage nachdem ich meine Wobblermanschaft am Trinkwasserspeicher getestet hatte, ging mein Flug nach Simbabwe (südliches Afrika). Mr. 100% war natürlich dabei. In Simbabwe gibt es zahlreiche Staudämme, die vor Jahren durch Farmer angelegt wurden, damit die ihre Felder auch in der Trockenzeit bewässern konnten. Das Ergebnis spiegelt sich heute in gewaltigen Wasserflächen wieder, die mit ihren interessanten Strukturen wie geschaffen für den Schwarzbarsch sind. Als das auch die simbabwischen Farmer erkannt hatten, dauerte es nicht mehr lange von den ersten entsprechenden Besatzmaßnahmen bis zu den ersten offiziellen Schwarzbarschmeisterschaften.
Die heutige politische Lage in Simbabwe kann man vorsichtig ausgedrückt als “angespannt” bezeichnen. Die Leute haben zum größten Teil etwas anderes zu tun, als angeln zu gehen. Für die einstigen Weltklassedämme von Simbabwe bedeutet das, dass sie seit nunmehr 15 Jahren nahezu ungefischt brach liegen. Als ich zu meiner Reise aufbrach, war es November und in Zimbabwe damit unerträglich heiß. Der zu dieser Zeit normalerweise einsetzende Regen schien schon seit Wochen wie eine drückende Wand über dem Land zu hängen. Alle warteten auf die längst überfällige Entladung durch einen Wolkenbruch. Diese Periode des Jahres, kurz bevor der Regen kommt, ist die beste Zeit des Jahres, um den Schwarzbarsch zu beangeln. Das sagte mir jedenfalls Gianni. Und Gianni muss es wissen.
“Gianni” hier nur als einen leidenschaftlichen Angler zu beschreiben, wäre eine unverzeihliche Untertreibung, denn “Gianni” ist viel mehr als das. Er ist Institution, Astrologe, simbabwisches Naturereignis und selbsternannter Fischprophet in Personalunion. Der Sohn einer Griechin und eines Franzosen, geboren in Kinshasa im Kongo und aufgewachsen in Simbabwe – mit einer Angelrute in der Hand. Sein Alter ist schwer zu schätzen, aber wahrscheinlich war er schon dabei, als man die ersten Besatzfische in die Staudämme entließ.
Gianni ist Mitglied in (allen) 23 Angelvereinen seines Landes und mischt jedes Jahr bei den Titelkämpfen um die begehrten Schwarzbarschtrophäen mit. Die Biographie von dem Mann wäre allein schon einen Roman wert, doch der soll hier nicht erzählt werden, da ich mich im Folgenden allein auf seine Fähigkeiten als “Fischprophet” konzentrieren will.
In der Stadt spricht man von Gianni im Zusammenhang mit dem Fischen nur als “die Legende”. Wann immer ich jemanden im Ort zum Bassfischen befragte, erhielt ich zur Antwort: “Wenn du es ganz genau wissen willst, dann musst du “die Legende” fragen.” Einige behaupteten sogar ehrfurchtsvoll, dass Gianni das “zweite Gesicht” besäße. Wer ein “zweites Gesicht” hat, so heißt es in der afrikanischen Kultur, der steht “mit den dunklen Kräften” im Bunde und verfügt über “unheimliche Fähigkeiten“. Damit war er genau das was ich suchte!
Gianni gilt als ein bisschen kauzig. So schaut er beispielsweise vor einem Angeltermin immer erst in den Mondkalender. (Er hält den Einfluss der Mondphase auf die Fische für erwiesen.) Ich hoffe, dass ich der “Legende” jetzt keinen dauerhaft Schaden zufüge, wenn ich verrate, dass Gianni im Grunde seines Herzens wohl auch ein bisschen arbeitsscheu ist und sich eigentlich nur fürs Fischen schon früh morgens aus dem Bett erhebt. Wenn man sein Arbeitspensum mit den Stunden vergleicht, die er mit dem Angeln verbringt, dann kann man eigentlich sogar behaupten, dass Gianni das Schwarzbarschangeln “semiprofessionell” betreibt. Das Wenige was er zum Leben braucht, finanziert er sich durch den Verkauf seiner gefangenen Fische in der Stadt. Dabei geht das meiste seiner Einnahmen wohl an die lokal ansässige Bierbrauerei (Der Bierkonsum von Gianni ist ebenfalls legendär).
Das Boot, das wir fuhren, war weit von dem Standard entfernt, den die Profis in Amerika oder Europa gewöhnt sind. Dennoch hatte es alles, was in Giannis Augen ein echtes Schwarzbarschangelboot braucht.
Zwei drehbare Stühle, einen Motor hinten und einen kleinen Elektromotor vorn, sowie zwei funktionierende Bierdosenhalter.
Das Boot war noch gar nicht richtig zu Wasser, da sprang “die Legende” schon wieselflink an die Bootsspitze, richtete behände den Elektromotor ein und nahm grinsend auf dem dortigen Stuhl Platz. Mein Training hatte begonnen, denn ich hatte vom “Meister” soeben meine erste Lektion in der Kunst des Schwarzbarschangelns erhalten.
Lektion eins: Das Sichern des Platzes.
Beim Schwarzbarschangeln hat derjenige, der vorne sitzt und den Motor steuert, einen entscheidenden Vorteil, denn es kommt bei dieser Art des Angelns vor allem darauf an, die Strukturen des Sees möglichst früh zu erkennen und sie als Erster anzuwerfen. Derjenige der vorne sitzt, sieht also alle Stellen eher und kann diese folglich auch früher anwerfen, als derjenige der hinten sitzt.
Außerdem hat der “Vorne-Sitzer” den Vorteil, dass er den Motor mit den Füssen steuern und damit die Richtung des Bootes bestimmen kann. Und wenn der “Vorne-Sitzer” Gianni heißt, dann richtet er es genau so aus, wie er es für seinen nächsten Wurf braucht.
Derjenige der auf dem hinteren Stuhl sitzt (und dass war in diesem Fall für den Rest des Tages ich), kann letztlich nur darauf hoffen, dass der Vordermann eine trächtige Stelle nicht gesehen, verfehlt oder bewusst für den Hintermann übrig gelassen hat. Wenn es ums Fischen geht, sollte man bei Gianni allerdings nicht auf die großzügige Vergabe von milden Gaben hoffen. Er kämpft mit harten Bandagen. Vom ersten Wurf an, konnte ich eine Tournieratmosphäre im Boot spüren, die in ihrer Intensität schon fast mit den Händen zu greifen war.
Wenn ich heute sicherlich noch meilenweit davon entfernt bin, ein Schwarzbarschexperte zu sein, so waren es damals einige Lichtjahre. Fürs Erste war es daher für mich völlig in Ordnung, das Gianni den Motor steuerte, und ich mich auf die Rolle des Schülers beschränkte. Und schon bald erhielt ich Lektion zwei.
Lektion zwei: Es gibt nur einen Wurf.
Der Schwarzbarsch liebt die Strukturen im See. Felsen und zahlreiche versunkene Bäume sind sein Eldorado. Für den Angler stellen die Strukturen damit eine Herausforderung eigener Art dar. Es ist nicht nur eine regelrechte Kunst, den Elektromotor möglichst geräuscharm und geschickt von einer interessanten Struktur zur nächsten zu steuern, sondern auch nicht ganz so einfach die Unterstände der Fische zielgenau anzuwerfen.
Ich fragte Gianni einmal, was für ihn einen guten “Schwarzbarschangler” ausmacht. Er antwortete: “It’s all about casting”, was soviel heißt, wie “es kommt allein aufs Werfen an”.
Wenn man mal erlebt hat, was ein Schwarzbarschangler mit “Werfen” meint, dann wird einem bald klar, warum manche Leute als “Bass-Legenden” verehrt werden. Diese Typen definieren sich über zentimeter(!!!)-genaue Würfe! Man glaubt es nicht, wenn man es nicht selber gesehen hat.
Es macht bei diesem Fisch einfach den entscheidenden Unterschied, ob der Köder genau neben einem Baumstamm landet, oder nicht. Im ersten Fall rummst es oft schon kurz nachdem der Köder die Wasseroberfläche geküsst hat. Im zweiten Fall bleibt der Köder entweder ohne Fisch (zu weit weg) oder wenn es ganz blöd läuft in dem anvisierten Geäst hängen (zuviel des Guten).
Wirklich gute Leute zeichnen sich zudem dadurch aus, dass sie nicht nur genau, sondern auch mit einer unglaublich hohen Frequenz werfen. Wenn der Köder gelandet ist, peilen sie schon die nächste Stelle an und verschenken dabei keine Sekunde. Jeder Fehlwurf oder “zweite Versuch” führt dazu, dass dem Bewohner einer versunkenen Astgabel oder einer Felsspalte der Appetit unter Umständen schon vergangen ist.
Mir wurde zwar schnell klar, dass dieses Spiel gegen mich lief.
1. Es war eine völlig unbekannte Situation für mich.
2. Meine Wurfkünste waren im Vergleich zu Gianni nur rudimentär ausgebildet und
3. Er saß zu allem Überfluss auch noch auf dem Vordersitz.
Ich hatte bei Licht betrachtet keine Chance. Doch die wollte ich nutzen.
Schließlich lautet Lektion drei: Auf den Köder kommt es an.
Und in mein Ködersortiment hatte ich volles Vertrauen. Ein Hauch Tournierfieber machte sich breit… Torrausch…, Überraschungserfolg…, ein frühes erstes Tor und dann hinten reinstellen… natürlich Mr. 100%.
Fragt mich bitte nicht woher ich plötzlich die Gewissheit nahm, aber in mir keimte der Gedanke, dass es mir gelingen würde, die Schwarzbarschpopulation an dem afrikanischen Stausee gehörig aufzulockern und es dem Fischpropheten einmal richtig zu zeigen. Was wussten afrikanische Schwarzbarsche schon von Mr. 100% …
Bevor ich loslegen wollte, schonte ich meinen Topscorer aber noch ein bisschen auf der Ersatzbank und montierte mir für die ersten Wurfversuche einen Oberflächenwobbler ran.
(Natürlich selbstgebaut! Hier die Bastelanleitung:
1. Balsawobblerkörper ohne Tauchschaufel (Form ist egal).
2. “Saughalterung”, wie man sie fürs Badezimmer zum Aufhängen von Handtüchern benutzt, vorne ran (Öse natürlich durchziehen)
3. Drillinge ran und nach Belieben bepinseln (unten dunkle Farben benutzen).
Ich baue mir so’n Teil immer aus den Wobblerkörpern, die ich – aus welchen Gründen auch immer – nicht so richtig zum Wobbeln kriege…
Da ich den Lauf bisher nur im Waschbecken getestet hatte, ließ ich ihn für einen Testlauf zunächst hinter dem treibenden Boot zu Wasser. Kaum machte er seine ersten zögerlichen “Plopp-geräusche“, war er auch schon weg. Ein Schwarzbarsch, der direkt einem Strauch im Wasser entsprungen zu sein schien, hatte sich den Wobbler ohne Zögern von der Wasseroberfläche gepflückt. Mein Herz begann zu rasen. Was für ein brutales Vieh. Dabei wollte ich doch nur spielen…
Wenn man an einem unbekannten Gewässer fischt und sieht, wie sich dabei gleich ein völlig unbekannter Fisch aus den Ästen eines Strauches löst und sich mit lautem Platschen auf den selbstgebauten Oberflächenwobbler stürzt, ist das ein Erlebnis, das man nicht so leicht vergisst. In mir überschlugen sich die Gefühle, doch ich riss mich zusammen.
“Na Gianni” entfuhr es mir, “wo bleibt denn jetzt die Legende? Hast du gesehen, wie ich den Fisch mitten im Freiwasser verführt habe? Wart’ erst mal ab, bis ich an die Strukturen gehe…”
“Nicht schlecht” gab Gianni zu.
Ich spürte wie ein Hauch verheißungsvoller Morgenluft mein Herz umwehte. Ich war drauf und dran, dem Wobbler den Namen “Mr. 101% zu geben. Doch der Name war tabu. Ich taufte den Wobbler deshalb zur Feier des Tages auf den Namen “Gianni‘s Nightmare“. Mit seiner Hilfe wollte ich nun die “Legende” entzaubern.
So als hätte er meine Gedanken gelesen fragte mich Gianni: “Sag’ mal, was hast du vor?”
Ich erschrak, denn seine Worte hatten etwas Drohendes.
“Oooch” antwortete ich, “nichts Besonderes…. Das sind nur so’ ne Holzfische, die ich zu Hause selber gemacht habe…”
“Zeig’ mal her” forderte Gianni und ich übergab ihm schuldbewusst meine Köderkiste.
Schon im nächsten Moment staute sich das Blut in meinem Kopf, denn mir fiel ein, dass Mr. 100% ebenfalls in der Kiste lag. Ich versuchte mich damit zu beruhigen, dass das Design von Mr. 100% so verschieden von einem normalen Fisch war, dass es auf Gianni unmöglich den Eindruck einer fängigen Geheimwaffe machen konnte. Doch diesmal hatte ich mich getäuscht, denn zwischen den Beiden entstand eine “Liebe auf den ersten Blick“, die selbst die härtesten Belastungsproben überdauern sollte. Gianni war von der Schockfarbe des roten Holzfischchens offenbar von der ersten Sekunde an schlichtweg begeistert. Während er also ohne jede Hast die Schnur durch die Öse meiner größten Hoffnung zog, umspielte ein verliebtes Lächeln seine faltigen Gesichtszüge. Beiläufig und selbstvergessen fragte er mich: “Hast du was dagegen, wenn ich das Ding hier mal teste?”.
“Ääääh, natürlich nicht, – nimm‘ nur“ antwortete ich, denn ich brachte es nicht übers Herz, das junge Glück zu stören. Tatsächlich übernahm mein Gesicht aber wohl die Schockfarbe des roten Erfolgswobblers (Eifersucht !?!).
Das Angeln mit Wobblern zwischen den Strukturen ist recht heikel. Bei einem Hänger ist es in Afrika nämlich absolut nicht ratsam, mit beiden Armen in das Gewässer zu greifen. Auf eine solche Gelegenheit warten manche Krokodile schon seit Jahren. Scheut man dagegen das Risiko, seinen Wobbler (oder seine Arme) im Gewässer zu verlieren und wirft man deshalb etwas kürzer vor die eigentlichen Strukturen, dann muss man sich damit abfinden, dass man mit derartig halbherzigen Würfen kaum einen Schwarzbarsch hinter den Steinen hervorlocken kann.
Gianni, der weder Krok’ noch Teufel fürchtet und entsprechend dicht an den Strukturen zu angeln pflegt, fing seine Barsche wie auf Bestellung. Wenn er eine interessante Struktur im Schussfeld hatte, sagte er manchmal: “Mach’ schon mal die Kamera bereit. Bei dieser Struktur fang’ ich einen”.
Die ersten Male, hatte ich noch verständnisvoll und nachsichtig gelächelt, doch nachdem diesen Ankündigungen fast immer flossenschlagende Tatsachen gefolgt waren, wich mein Lächeln einem staunendenden offenen Mund.
Man konnte es in Giannis Lachfalten lesen, dass das Werfen zwischen den Steinen ein fester Bestandteil seiner Show war. So als wäre er ein berühmter Messerwerfer in der Zirkusarena zelebrierte er jeden einzelnen Wurf als ein besonderes Ereignis. Er dehnte dabei die Momente wie ein Gummiband. Gianni wusste natürlich auch um seinen Ruf als “Legende” und wies bei jeder Gelegenheit darauf hin. Manchmal rief er: “ Vive La Légende“, und pfefferte gleich darauf den Wobbler exakt zwischen zwei anvisierte Steine.
In manchen Kneipen in Deutschland kann man sehen, dass besondere Skatblätter in einem Bilderrahmen an die Wand genagelt wurden. Manchmal steht darunter z.B. noch Zusätze wie “Helmut W. am 2.6.‘73 – Grand Over”.
Wenn das auch mit Angelwürfen möglich wäre, dann würden es Würfe wie die von Gianni sein, die direkt hinter dem Tresen aller Angelvereine angenagelt würden. (Gianni G. am 14.11.05 – Largemouth Bass – 4 pound`s ). – Giannis Würfe waren allesamt rundherum perfekt.
Die Belohung für seine Würfe folgte meist auf dem Fuße. Ich musste schon gar nicht mehr hinsehen. Er fing ein Fisch nach dem anderen. Mr. 100% konnte zwar selbst bei einem Wurftalent wie Gianni die märchenhafte Quote von 100% nicht aufrechterhalten, doch alles in allem gaben mir die beiden zusammen eine beeindruckende Vorstellung.
Mein Oberflächenwobbler konnte nicht im Entferntesten mithalten, obwohl er sein Bestes gab. Sein Schicksal wurde besiegelt, als ich zum wiederholten Male versuchte, eine Felsspalte anzuwerfen. Der Wurf ging 20 cm zu weit und der Wobbler landete äußerst hart auf dem Granit. Für den sensiblen Balsakörper bedeutete dieses brutale Foul das vorzeitige Karriereende. Er erlitt starke Prellungen und verlor bei dem Sturz zu allem Überfluss auch noch seine “Saughalterung“.
Ich probierte meine komplette Wobblerkollektion aus. Aber mit keinem lief es auch nur annähernd so gut wie bei Gianni und Mr. 100%. Als die Schatten der Bäume langsam immer länger wurden, war unsere Kühlbox reichlich gefüllt.
Mir kam es darauf aber gar nicht so sehr an. Wichtiger als der reichliche Fisch in unserer Kühlbox waren für mich die ersten Schritte auf dem Gebiet der Schwarzbarschangelei. Zum einen begann ich zu ahnen, warum manche Amis tausende Dollar für diesen Fisch ausgeben. Zum anderen lernte ich aber dank’ Gianni zugleich auch – und das ist vielleicht Lektion vier:
Es sind nicht die Dollars die einen Schwarzbarschangler zur “Legende” machen.