Unsere Boote Freebird – ein Boot mit Geschichte
Die Barschbüchse namens Freebird. Gestern habe ich sie fit gemacht für die neue Saison. Es ist unsere elfte. Meine Lieblingszahl. Ich war schon immer ein Elfer. Aller Rechtsfüßigkeit zum Trotz. Insofern ist viel zu erwarten von dieser Saison. Auch wenn der Freebird fest auf der Spree geparkt ist und wir hier ganz schön kämpfen müssen für unsere Fische. Dieses Jahr kommt der Berliner Meterzander. Das ist so sicher wie die Tatsache, dass der VfB nächstes Jahr die Bayern vom scheinbar uneinnehmbaren Thron stoßen wird. Denn dieses Boot und ich sind so sehr zu einer Einheit geworden, dass mein Spirit und alle anderen Hannes-Kräfte auch bis ins seit gestern rotbraune Antifouling vordringen. Heißt: Auch der Freebird rechnet sekündlich mit einem Einschlag.
Er muss ganz schön was durchmachen mit mir. Jede zweite Saison schlage ich ihn zusammen mit ein paar Kumpels aus dem Eis, weil ich auch den allerletzten Tag der Saison mitnehmen will. Und dann gefriert es über Nacht. Man spekuliert darauf, dass es nur ein paar Tage kalt ist und die Spree nicht zufriert. Doch der Winter schwingt erbarmungslos die Kältekelle und lässt innerhalb weniger Tage eine 10 cm dicke Eisschicht wachsen, die die Alubüchse vom Typ Quicksilver AF 450 zu erdrücken droht. Dann gehen wir mit Äxten und Hämmern los. Im letzten Jahr hat das nicht gereicht. Da mussten Manuel, Patrick und ich mit dem Auto ran und das Boot über eine Umlenkung des Ankerseils über das Eis rausziehen. Eine harte Prüfung für die Kupplung. Und natürlich nicht so schön für die Lackierung. Die Echolothalterung ist zu Bruch gegangen bei der Aktion. Aber der Freebird ist Kummer gewohnt. Weder er noch ich schreien auf, wenn der gute alte Veit den Anker beim Platzwechsel zum gefühlt 1000sten Mal gegen die Bordwand krachen lässt. Wir nehmen es zur Kenntnis. Wir wissen, dass wir den Typ nicht mehr ändern können in diesem Leben. Der Freebird hat schon 999 mal geächzt und ich hab’s dem Kollegen schon 100 mal gesagt. Ändert ja nix. Aber scheiß drauf. Es ist ja nur der Lack. Und Lack ist vergänglich. Besonders unter den Klampen. Wir sind auch nicht zum Schönaussehen auf dem Wasser. Wir wollen Fisch. Da sind wir uns einig.
Wie es kam mit der Verschmelzung von Angler und Boot? Jeder Angler baut eine Beziehung zu seinem Gefährt auf. Viele stecken viel Liebe rein. Viel mehr als ich. Im Gegensatz zu vielen Angler-Boots-Beziehungen war unsere nicht die Liebe auf den ersten Blick. Wenn man so will, wurden wir zwangsverheiratet. Das kam so: Ich hatte mal einen Bekannten in Holland. Den habe ich über den Barsch-Alarm kennengelernt. Dort wollte er im Jahr 2004 eine Zandermeisterschaft für Deutsche anregen. In Holland wohlgemerkt. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Eine gute Idee. Inzwischen fahren viele Deutsche zu den Wettkämpfen nach Holland. Ich ja auch. Aber damals stieß das Projekt auf Ablehnung. Und weil ich den mir unbekannten Kollegen verteidigt habe, hat er mich mehrfach nach Holland eingeladen zum Guiding. Dort haben wir viele Gewässer befischt und wurden sowas wie Freunde. Ich habe ihm einen Kontakt zur Firma Relax vermittelt und bin mit ihm und seinen beiden Geschäftspartnern ins Kopytoaufanglager nach Polen gefahren mit dem Ergebnis, dass die Jungs den Relax-Vertrieb für Holland übernehmen konnten. Irgendwann habe ich ihm erzählt, dass ich gern ein Carolina Skiff hätte mit einem 10 PS-Motor. Einige Wochen später erhalte ich einen Anruf: „Johannes. Ich stehe gerade auf einer Messe. Vor mir steht ein Skiff. Genau so wie Du es wolltest. Mit neuem Motor. 10 PS. Für 2500 Euro. Das Problem: Ich muss bar zahlen und habe nicht so viel dabei. Kannst Du mir das Geld per Western Union überweisen. Heute noch?“ Ok. Der Ottonormalbürger riecht den Braten und winkt ab. Der Hannes nicht. Der glaubt ans Gute im Menschen und wurde ja auch schon total großzügig umsorgt von diesem Mann. Also die Knete klargemacht und ab dafür. „Hat alles geklappt?“ „Ja. Ich bringe Dir das Boot bald nach Berlin.“ Super. Allerdings kam es nie an. Mehrfach wurde der Transfer angekündigt. Aber mal war das Auto kaputt. Mal kam ein Guiding dazwischen. Und so vergingen die Monate. Und irgendwann wird dann auch ein Dietel unruhig. In einem Gespräch mit den beiden Geschäftspartnern habe ich erfahren, dass das Geld wohl direkt verzockt wurde und dass mein Kumpel mächtig Ärger hat in Holland. Zum einen weil er sich ein System aus Vorauskasse und Nichtbelieferung in der Kopytosache ausgedacht hatte. Zum zweiten weil er Guidingkunden abgezockt hat, die im Voraus bezahlten und dann niemanden am Treffpunkt vorfanden. Kurz: Er war abgetaucht. Diese Info passte gut zu seinem Telefonierverhalten. Er ging nicht mehr ran. Und jetzt? „Komm rüber. Wir lösen unsere Firma auf. Wir haben da ein Boot, das wir mit Alu aufgebaut haben, weil wir es als Mietboot fest in einen Hafen legen wollten. Das brauchen wir nicht mehr. Wir schenken es Dir. Es ist ein Quicksilver. Ein gutes Boot. Der Alu-Aufbau war voll teuer. Hol es einfach ab.“ Und so fuhr ich mit meinem Kumpel Marco und einem leeren Miet-Trailer an einem schönen Tag im Winter nach Venlo, um ein Boot abzuholen, das ich eigentlich gar nicht haben wollte. Dazu gab‘s noch einen schon damals ziemlich fertigen Bugmotor mit Fußsteuerung und ein Fish Easy 2. Am nächsten Tag hat’s dann so geschneit, dass man die Autobahnschilder im Ruhrpott nicht mehr lesen konnte. Ich hatte kein Navi. Und das war alles ganz schön stressig. 12 h später waren wir aber in Berlin. Bzw. vor den Toren Berlins. Ein Bekannter hatte erlaubt, das Boot auf seinem Gelände zwischenzulagern. Also runter vom Trailer, umgedreht und abgelegt. Und da lag das namenlose Boot dann zwei Jahre. Ich hatte keinen Plan, was ich mit der Möhre anfangen soll. Ich war eigentlich immer ein bisschen sauer, wenn ich an mein Quicksilver gedacht habe und habe dessen Existenz erfolgreich verdrängt.
Irgendwann kam mir mal eine Idee. Und zwar hat mich an Berlin immer dieses Autofahren zu den Angelspots genervt. Ich war damals entweder zu Fuß an der Havel unterwegs oder bin nach Brandenburg rausgefahren, um auf den klaren Seen große Barsche vom Ruderboot aus zu befischen.
So oder so: Stau. Stau. Und nochmal Stau. Ich hasse das noch immer. Und so fasste ich den Plan, das Leben zu verdichten. Also: Umziehen an die Spree. Das Boot an die Spree legen und Spreeangler werden. Damals hat man da noch richtig gut Zander gefangen. Sogar vom Ufer. Und ein Boot hatte ich ja. Nur keinen Motor. Kaufen. Maximale Leistung mit minimal möglichem Gewicht. Viertakter. Möglichst günstig. Und neu. Ergebnis: Tohatsu 18 PS. Außerdem hatte in der Zwischenzeit einen Liegeplatz klargemacht am Rummelsburger. Für 960 Euro im Jahr. Kein Schnäppchen. Aber egal. Von meiner neuen Wohnung in Neukölln bis zum Boot waren (und sind) es 8 Minuten. Perfekt.
Weniger perfekt: Die Spree am Rummelsburger wurde immer schlechter. Die fetten Zanderjahre waren nach der zweiten Saison vorbei. Da half auch das Umlackieren nicht.
Und auch das Boot zeigte erste Ermüdungserscheinungen. Das Pressspanholz fing an zu schimmeln.
Es galt, das Steuer rumzureißen. Der Chef von der Werft schlug mir vor, Kirschholz einzubauen. Er könne das machen. Und so habe ich mir für 400 Euro Kirschholz unter die Aluaufbauten (Wurfdeck im Bug und im Heck) verlegen lassen. Das ist unheimlich stabil. Aber halt auch sehr schwer. Es war eine der letzten Aktionen am Rummelsburger. Der besseren Barschsituation halber – und weil ich neue Angelkumpels in Köpenick gefunden habe – sind Freebird und Hannes kurz nach dem Kirschholzausbau spreeabwärts gezogen.
Dass so ein Aluboot nicht zwingend leicht sein muss, bekommen auch die Jungs aus dem Angelverein in Köpenick zu spüren, mit denen ich das Teil seit 2012 Jahr für Jahr aus dem Wasser ziehe und wieder reinhebe. 6 Mann sind kein Mann zu viel – eher 2 zu wenig. Das Boot ist eine Legende bei meinen Sportsfreunden. Dabei weiß kaum jemand, was da so wirklich passiert an Deck. Ok. Der Veit. Und manchmal auch ein anderer Gast. Aber am liebsten sind der Freebird und ich allein unterwegs.
Freebird? Das Boot hatte ganz lange keinen Namen. Wir waren ja keine Freunde am Anfang. Ein Name schien mir zu persönlich. So nah wollte ich das Boot nicht an mich ranlassen. Bis ich irgendwann mal eine harte Lungenentzündung von einem Mefo-Watangel-Trip mitgebracht habe und zwei Wochen im Krankenhaus lag, weil das Fieber nicht wegging. Als ich dann rauskam, habe ich mich brutal befreit gefühlt. Endlich raus aus diesem Zimmer. Und bald wieder Wasser. Auf mein olles Boot. Zuhause habe ich erstmal den PC angeschmissen und auf Youtube nach einem zur Situation passenden Lied gesucht: Freebird. Von Lynyrd Skynyrd.
Ein ziemlich kitschiger Song, der bei mir aber ziemlich reinhaut in sentimentalen Momenten. Ich hätte damals weinen können vor Rührung und Glückseeligkeit. Nicht nur dass ich diese drecks Lungenentzündung abgeschüttelt hatte. Nach 1001 Röntgenbildern war klar, dass meine Lunge auch die vielen Kippen unbeschadet überlebt hat. Nie wieder! Frei sein. Wie Dr. Erik (mein Arzt im Urbankrankenhaus) sagte: „Überlegen Sie sich gut, ob Sie wieder mit dem Rauchen anfangen. Wir sind von so vielem abhängig. Von Essen. Trinken. Von Geld. Oder von Liebe. Und Sie haben doch einen coolen Job und eine tolle Freundin, die sich ganz lieb um Sie gekümmert hat. Da muss man doch nicht künstlich weitere Abhängigkeiten schaffen.“ So oder so ähnlich. „I’m as free as a bird now…“ Und dieser Vogel wird nie mehr qualmen. Versprochen. Das habe ich gehalten. Der größte Schwachsinn. Wie konnte ich nur jemals so doof sein und mir meine Lunge freiwillig mit Gift zuteeren… Aber zurück zum Boot. Das musste sowieso umlackiert werden. Und inzwischen waren wir Kumpels. Ich hatte einen Namen. Und der prangt jetzt auf beiden Seiten.
Das ist die Geschichte vom Freebird. Qicksilver AF 450. 18 PS Tohatsu-Viertackter. Ein 20 Jahre alter Bugmotor, den ich mal für 50 Euro auf Ebay verkaufen wollte und den keiner haben wollte. Blauer Lack mit vielen Macken. Rotbraunes Antifouling. Teppich über den Aluaufbauten (Alu pur war zu heiß im Sommer und außerdem zu laut). Zwei fette Dellen. Bestimmt 300 kg schwer. Ziemlich unsexy insgesamt und das Gegenteil von überkandidelt. Aber eben mein Boot und ein stets zuverlässiger, einigermaßen ruhiger und vor allem auch ausdauernder Angelpartner.