Fangberichte Es gab viel zu Thun
Das ist Teil 3 meines Indienreiseberichts. Einige von Euch mögen sich fragen, warum es Teil 1 und Teil 2 überhaupt bedurfte, beschränkten sich meine Angelerfolge doch bisher auf ein paar bunte Fische. Dazu muß ich sagen: „Abwarten, Jungs“. Bisher war alles nur Einleitung. Sozusagen mein Präludium für das, was ich in Couchin erlebte. Hier in einer der größeren Hafenstädte Südwestindiens, wollten wir die offene Rechnung mit den großen Flossenträgern begleichen.
Gleich am Morgen gingen wir daher an den Hafen, wo bereits geschäftiges Treiben herrschte. Die einlaufenden Fischerboote luden ihren Fang aus und versteigerten ihn unter einen ohrenbetäubenden Lärm gleich vor Ort. Die Bilder die sich uns dort boten, enthielten genug Treibstoff, um die Phantasien unserer Anglerherzen zu beflügeln. Dort wurden unzählige Thunfische, Haie und andere Fische deren Namen ich nicht kannte an Waagen gehängt. Ich drängelte mich durch die Menge etwas weiter nach vorne, und erblickte einen für meine Begriffe riesigen Thunfisch. Die Wage zeigte 50 Kilo. Kurz darauf war er auch schon filettiert. Alles ging rasend schnell. Geld wechselte, ohne dass es nachgezählt wurde den Besitzer. Der Auktionator nahm seinen Anteil. Der Fischer bekam den Rest.
Ich schwöre, dass ich alles versucht habe, um die Fischer davon zu überzeugen, uns mitzunehmen, aber die Brüder wollten einfach nicht. 3 Nächte lang standen wir um 1.30 Uhr am Strand und sahen die Fischerboote nacheinander ablegen,….ohne uns. Es war zum Wahnsinnigwerden. Schließlich erklärte sich Barnabas bereit mich mitzunehmen. „Barnabas“, allein die Nennung dieses Namens reicht noch heute aus, um den Zündschlüssel in meinem Kopf umzudrehen und meinen Erinnerungen freie Bahn zu geben. Ich sehe ihn noch heute ganz deutlich vor mir. Wie er lächelnd an seinem Boot sitzt, und von den Thunfischen schwärmt.
Zuerst war es gar nicht so leicht ihn zu überzeugen. Er, der soviel lacht, wurde bei dem Gedanken daran, dass er mich mitnehmen sollte, sehr ernst. Er sagte: „Der Thun ist jetzt da, und wir haben keinen Tag zu verschenken. Wenn wir, weil du mit der Hitze nicht klarkommst, umkehren müssen, kostet uns das vielleicht ein Monatsgehalt.“ Dabei schaute er ganz kribbelig aufs Wasser hinaus. Es war offensichtlich, dass er die Nacht kaum erwarten konnte. Den ganzen Sonntag war er mit seinem Schwager damit beschäftigt die 150 Haken an die Schnur zu binden. Die Fischer in Indien, sind Spieler. Ihr Einsatz sind Diesel, 150 Haken, eine Kiste mit Köder und oft monatelange Entbehrungen von zu Hause. Sie fahren dann, wenn die Thunfische da sind, mit geliehenen Booten hinaus in dieses große Wasser, bis sie nichts mehr sehen, als die Wellen. Dabei hoffen sie zumindest, dass das endlosen Blau ihnen ihren Einsatz zurückgibt, oder sie vielleicht sogar mit „dem Fang“ belohnt, der genug Geld bringt, um den Diesel zu bezahlen, der Familie etwas zu schicken,…. vielleicht auch die Chance auf ein eigenes Boot…..eines Tages…… . Barnabas zog mich an der Hand zu einem anderen Fischer, dessen Stimme stark an einen ölverschmierten Dieselmotor erinnerte. „Der hier, hat gestern 350 Kg gefangen“, rief er aufgeregt. Der Dieselstimme entfuhr ein kurzer zustimmender Brummton. Ich verstand die Situation. Es ging um sehr viel für Barnabas in der nächsten Nacht. Die anderen beiden Nächte hatte er ungefähr 100 Euro an dem Diesel verloren. Für einen Inder eine Unsumme. Das alles könnte er mit einer einzigen erfolgreichen Tour wieder rausholen. Durch das verlorene Geld, stand er mit dem Rücken zur Wand. Ich konnte das verstehen, und hatte mich eigentlich schon damit abgefunden, dass es wohl nicht sein sollte.
„Es ist schon komisch“ sagte ich, „ überall wo ich auf Reisen hinkomme, werde ich meistens mit dem Spruch getröstet, daß gerade keine Saison ist, und deshalb die Dinge sind wie sie sind. Und diesesmal verschlägt es mich mitten in der Hochsaison für Thunfisch nach Couchin, und gerade weil Saison ist, kann ich nicht mitfahren.“ Aber um Barnabas kein „schlechtes Gewissen“ zu machen, wechselte ich schnell das Thema und erzählte, daß ich wegen meines „Sonnenstichs“ im Krankenhaus war. Ich erzählte von den Schwestern dort, was sofort allgemeines Gejohle unter den Fischern auslöste. Ich berichtete von der Injektion in meinen Po durch Frauenhand, und bemerkte augenblicklich wie um mich herum viele Fischermünder offenstanden. Die fassungslosen Gesichtsausdrücke der Fischer ließen mich förmlich spüren, daß sie mehr hören wollten, und so setzte ich noch einen drauf: „Jungs, ob ihr es glaubt oder nicht, aber die Schwester will mich von nun an jeden Tag wiedersehen“.
Sekunden der Stille vergingen, bis sich mein Scherz gelegt hatte, und sich das Erstaunen in einem lauten Gelächter entlud. Die Besatzung, setzte den lachenden Barnabas schließlich so unter Druck, dass er sich überreden ließ, mich mitzunehmen. Das war die Überraschung. Völlig aus dem Häuschen versprach ich, dass mir nicht schlecht wird, dass ich 400 Kilo Fisch fangen werde und dass ich jedem eine Krankenschwester mitbringen werde, ja eigentlich alles auf einmal. Ich konnte es gar nicht fassen. Ich sollte dabei sein, wenn es auf „den Fischzug“ geht. Dabei, wenn die Fischer ihren Einsatz machen. Kein Bluff. Diesmal fuhr ich nicht angeln. Dieses Mal fuhr ich fischen. Ich sollte teilnehmen.
Um 2 Uhr morgens.
Ich konnte vor Aufregung zuerst gar nicht schlafen. Wieviel fangen wir morgen? Ist es der große Fang? Es muss! Vielleicht fange ich ja einen 50kg Burschen! Und was mach ich, wenn so’n Vieh tatsächlich dran ist…..? Festhalten, soviel ist klar…. und wenn es wehtut….. festhalten. Ich war bis über beide Ohren infiziert. So gegen Mitternacht muss ich dann eingeschlafen sein. Tom, der wegen Kopfschmerzen nicht mitkonnte, weckte mich 3 mal. Das 3. Mal leider viel zu spät. Noch im Gehen zog ich mir mein T-Shirt über. Ich rannte durch die Nacht, aber als ich schließlich völlig außer Atem den Strand erreichte waren Barnabas und die Boote weg !!!! SCHEISSE !!!! Alles was ich sah waren die vielen, in Decken eingerollten Fischer, die wie üblich am Strand pennten. Aus einem Reflex der Panik, sprang ich ans Wasser und rief aus allen Rohren: „BARNABAS“. Noch im selben Moment erschrak ich über mich selber. Ich muß ja die totale Scheibe haben, mitten in der Nachtzeit aufs Wasser rauszubrüllen….. wahrscheinlich war ich noch halb im Schlaf…… Doch plötzlich tauchte aus der dunklen Wand der Nacht ein Boot auf.
Tatsächlich hatten sich die 4 Boote weiter draußen gesammelt, um die Taktik zu besprechen – dabei hatten sie mich gehört. Als wir zu den anderen stießen, gab es keine weitere Unterbrechung. Ein lautes „HAARISSSA“ war das Signal. Dieselmotoren zerrissen mit ihren ohrenbetäubenden, rußenden Stimmen die Nacht, Boote stürzten sich auf das pechschwarze offene Meer, wie die Krieger von Babylon, und ich war dabei. Ich saß mit einem verschlafenen Dauergrinsen mitten im Boot. Links und rechts schäumten die Umrisse der anderen Boote aus dem Wasser – die ganze Mannschaft war hoch konzentriert. Ich verkroch mich und beschränkte mich aufs Zusehen, – Gänsehaut pur – Über uns ein sternenklarer Himmel. Barnabas blickte geradeaus und nur noch seltener auf den tellergroßen Kompass, den er zwischen seinen Füßen geklemmt hielt. Kein Wort unterbrach mehr den Dieselmotor, der eine Stunde lang, bis zum Anschlag aufgedreht, der Nacht entgegenheulte. Für diesen Moment fühlte ich mich komplett dazugehörig. Wir alle sitzen im selben Boot, weil wir dasselbe wollen. Es gibt in dem gemeinsamen Hoffen keine Worte zu verlieren, nur einverständliches Augenzwinkern.
Im „Zielgebiet“ herrschte bereits reges Treiben. Reisige Fischereiboote durchpflügten das Wasser. Dazwischen flitzten kleinere Fischerboote und auch einige Katamarane umher. Das ganze glich einem gewaltigen undurchsichtigen Chaos. Die Vorfahrtsregeln wurden anhand PS Zahl und Schiffsgröße entschieden. Wir befanden uns in diesem Spektakel fast am Ende der Nahrungskette.
Unsere Schnüre bestückten wir mit 150 Ködern und besten Erwartungen. Bei jedem Haken den man ins Meer entlässt, denkt man, dass hier in einer Stunde „der Fisch“ hängen könnte. Entsprechend sorgfältig gingen wir vor. Nach dem Hochseefrühstück setzten sich dann Barnabas und die anderen an Bord zusammen und begannen zu beten. Gleich darauf ging’s los. Der erste Haken, tauchte auf – Nichts ! Auch an dem übernächsten und den darauf folgenden 20 Haken hing der große Fang nicht. Barnabas holte tief aus seinem Rachen den Saft der Betelnuss zusammen, auf der er seit Stunden kaute und spuckte ihn weit aufs offene Meer. Die Enttäuschung war förmlich greifbar. Nach 50 Haken dann der erste mittlere Thun. Dann wieder 20 Haken lang nichts. Stattdessen kreuzt ein fetter Schlepper unsere Fischleine. Wie angestochen fuchtelt die Mannschaft mit ihren Kopftüchern umher, und brüllen heiser Richtung Schlepper durch den Morgen. Es nützte nichts. Der Schlepper nahm unsere Leine mit und wir mussten ihm mit Vollgas hinterherjagen, um die Schnur an jeweils beiden Enden seines Schleppnetzes zu kappen. Insgesamt fuhren war an diesem Morgen noch 3 weitern Schleppern hinterher. Und das alles für 4 lausige Thunfische !!! Barnabas packte lächelnd zusammen. Wieder nichts ! Wieder nicht genug Fisch, um den Diesel zu bezahlen. „Woran lag‘s ?“, frag ich ihn. Barnabas schaute als Antort, nur kurz mit gerunzelter Stirn in den blauen Himmel. Gott alleine weiß es.
Was Gott vielleicht auch wußte, woran ich damals aber nicht einmal im Traum dachte, war, daß jetzt, wo der Tag anbrach, die wirkliche Show erst beginnen sollte. Was nun passierte, ist die skurrilste und abgefahrenste Angelmethode, die ich mir bis heute denken kann. Jedes Besatzungsmitglied, und dazu zählte ich ja nun auch, bekam 150 Meter Schnur, die um einen Plastikkanister gewickelt war, und einen 40 cm Wobbler.
Übrigens auf „Barsch-alarm“ fand gerade eine Diskussion zu der Köderfarbe „Rot/Weiß“ statt. An dieser Stelle sollte daher erwähnt werden, dass die Fischer in Südindien alle mit Rot/Weiß fischen. Ihr Kommentar zur Köderwahl war: „Much read – much dead“. Der Slogan, „viel Rot viel Tot“, bringt meiner Meinung nach, den Erfolg der Farbkombination sehr anschaulich zum Ausdruck.
Bevor ich mich aber selber von dem Wirkungsgrad des Wobblers überzeugen wollte, schaute ich mir das Ganze erstmal bei meinen Fischerkollegen an. Diese begannen bei langsamer Fahrt so schätzungsweise 60 Meter Schnur von den „Kanistern“ abzuspulen. Dann wickelten sich die Fischer die Schnur ein paar Mal um den Fuß und hielten den Fuß über die Reling. Der Motor wurde aufgerissen und der an den Fuß geknotete Wobbler dann mit Vollgas durchs Wasser gezogen. Als ich das zuerst sah, dachte ich, daß ich im falschen Film sitze. Auf 5 Booten saßen jeweils 3 Erwachsene Männer mit Wobblern an den Füssen und durchkämmten mit Vollgas das Wasser. Bevor ich mich dem Irrsinn anschloß, wollte ich mir aber erstmal in der Theorie erklären lassen, was im Falle des Anbisses geschehen sollte, und fragte Barnabas. Dieser hatte nur ein Kopfschütteln für meine Frage übrig, die wohl von Unwissenheit und mangelnder Phantasie zeugte. „Also“, begann er seine Ausführungen, „das sei doch ganz klar. Wenn ein Thun anbeiße, dann geht das Bein von ganz allein nach oben, wodurch sich der Knoten am Fuß lösen kann. Dann weiß man auch, dass einer dran ist….“ O.K. soweit die Theorie. „Was passiert, wenn das Bein nicht nach oben geht?“ Barnabas antwortete schlicht: „Dein Bein wird nach oben gehen!“. „Und wenn der Knoten sich nicht löst?“. „Dann sammeln wir Dich zusammen mit dem Thunfisch ein!“. Mir war nicht wohl. „Kann man die Schnur nicht mit der Hand festhalten?“ Barnabas schüttelte den Kopf und antwortete schlicht „viiiiiel zu gefährlich“. Ich dachte, die wollen mich verarschen. Für mich sah es viel gefährlicher aus, sich die Schnur um den Fuß zu binden, als mit der Hand zu halten. Mit offenem Mund verfolgte ich das Spiel. Von meinen Sorgen unbeeindruckt kramte Barnabas in seiner Heckklappe und überreichte mir meine „Ausrüstung“. Was sollte ich machen? Mitgegangen, mitgefangen. In Gedanken malte ich mir schon die Zeitungsannoncen aus, „deutscher Tourist, vom Thunfisch über Bord gezogen…“ Was hätte ich in diesem Moment für eine ordentliche Rute mit Multirolle gegeben. „Ach was“ dachte ich mir schliesslich „Multirolle, kann jeder“.
Und so sah ich mich 5 Minuten später mit einem Wobbler am Bein durch den Ozean jagen. Der Riesenwobbler entfaltet bei den Geschwindigkeiten einen irren Druck, so daß man ihn mit der Hand wahrscheinlich nicht auf Dauer hätte halten können. Bis heute denke ich darüber nach, ob es nicht noch eine clevere, gesündere Alternative zu den „Fußangeln“ gibt. Bis jetzt ist mir keine eingefallen (ich bitte um Vorschläge).
Ich saß da auf der Bordwand wie auf dem Schafott. Immer wieder dachte ich: „Um Gottes Willen, was mache ich hier? Bin ich denn total bekloppt, mir von Thunfischen die Füße abreißen zu lassen? Ich glaube, ich habe mir in meinem ganzen Leben noch nie so sehr gewünscht, daß kein Fisch rangeht. Schuhetragen ist bei dieser Fußangelmethode übrigens streng verboten, weil sonst die Sehne nicht wegflutscht. Auch wurde mir während der Fahrt mehrmals wärmstens ans Herz gelegt, schön locker im Kniegelenk zu bleiben, ansonsten könne das schlimme Folgen haben. Das war purer Psychoterror. Wie soll man „schön locker“ bleiben, wenn man nicht genau weiß, ob man die nächste Minute noch im Boot verbringt. „Locker bleiben,… locker bleiben“ redete ich mir ein und atmete dabei betont tief ein und aus.
Jede Sekunde konnte der Kampf um mein Bein beginnen. Zuerst wollte ich die Schnur nicht länger um meinen Fuß binden, als bis die „Angeberphotos“ für zu Hause gemacht sind, doch dann begann mit jeder weiteren Minute meine Neugier zu siegen. Ich weiß nicht mehr wieviel Zeit verging, bis ich jene Schreie hörte, die mich aus meiner selbstverordneten Ruhe, direkt in die angstvolle Panik beförderten. Auf den Booten um uns herum flogen die Beine in die Höhe, und ein Boot nach den andern bremste seine Fahrt ab. „Scheiße !!“ schoß es mir durch den Kopf „die Thunfische sind da.“ Instinktiv griff ich an meinen Fuß, um die unheilvolle Schnur zu schnell wie möglich loszuwerden. Zack,…. da wurde ich auch schon mit einem Ruck nach hinten geschleudert. Ich begriff zwar sofort, wer mich da aus dem Sitz gezogen hat, doch waren in diesem Moment alle meine Gedanken, Sorgen und Ängste bei dem Knoten um meinen Fuß. In den Sekundenbruchteilen, in denen ich rücklings auf den Planken lag und das Blau des Himmels anblickte, wuchs in mir eine unbeschreibliche Erleichterung. Da ich nicht über Bord gegangen war, musste mein Fuß wohl noch dran sein. Wer hätte das gedacht.
Neben mir im Boot tanzte der Plastikkanister auf den Planken. Meter um Meter wickelte sich von der Schnur. Barnabas hatte diese für mich gegriffen und achtete darauf, daß sie nicht mitsamt dem Kanister über Bord gezogen wurde. „Gib her!!“ Ich war noch gar nicht ganz auf den Beinen, da hatte ich schon die Schnur in der Hand. Aber anstatt sie festzuhalten, rauschte sie mir nur so durch die Finger. Ich spürte, wie eine konstante Kraft am anderen Ende zog. Zuerst schien es mir, als sei es unser Boot, welches sich noch langsam weiterbewegte,…doch wir standen still. Unter mir im Boot hörte der Plastikkanister gar nicht mehr auf zu klappern. Ich war mir nicht sicher, wieviel Sehne ich noch in Reserve hatte und beschloß daher, während ich die Schnur weiter mit der linken Hand führte, mit der rechten Hand etwas Sehne abzuspulen und mir diese um die Hand zu wickeln. Mein Plan war, dass wenn ich die Schnur erstmal richtig zu fassen hätte, ich die Flucht des Fisches dann mit ganzer Kraft zu stoppen könnte. Gesagt getan. Einmal tief durchgeatmet, und los ging’s. Mein Plan funktionierte insoweit, als dass die Flucht des Fisches erstmal gestoppt war. Von den Schmerzen in meiner Hand ließ ich mir nichts anmerken. Der Thun, oder was immer da am anderen Ende der Leine hing machte kehrt und schwamm für ein kurzes Stück direkt aufs Boot zu. Ich holte soviel Schnur zurück ins Boot, wie es mir möglich war. Dann war sein Entgegenkommen auch schon beendet. Wieder rutschte mir die nasse Sehne durch die Hände. Das Salzwasser brannte sich in meine rechte Hand. „Drillbremse!!! „ schrie ich auf Deutsch durchs Boot „ I need a Drillbremse!!!“. Barnabas, der nichts verstand, reichte mir das Gaff. Nein, nein, soweit war ich noch nicht. „Später, Baranbas – jetzt brauche ich erstmal eine Drillbremse“ Ausgelassene Stimmung machte sich an Bord breit. Barnabas war wohl zuversichtlich, was unseren Erfolg anging und klopfte mir ständig auf die Schulter. Ich spürte die Erwartungen der Mannschaft auf mir ruhen, und setzte nochmal zu einem Zwischenspurt an. Der Fisch tauchte immer wieder in die tiefblaue See, um gleich danach wieder wie ein Pfeil hochgeschossen zu kommen. Es gelang mir zunehmend, Armlänge um Armlänge zurück ins Boot zu holen. Barnabas quittierte diesen Erfolg, indem er die eingeholte Schnur gleich wieder säuberlich auf den Plastikkanister aufwickelte. Von den anderen Booten wurden Pfiffe und Schreie hörbar. Die Fischer presentierten sich gegenseitige ihre Fänge. Einige machten schon wieder ihre Motoren klar. Barnabas wurde nervös, und fuchtelte ständig mit dem Gaff vor mir rum. Der Fisch befand sich keine 10 Meter unter uns. Ich konnte den blanken Bauch des Fisches schon sehen. Meter um Meter, und mit zittrigen Knie, zerrte ich ihn an die Oberfläche. Offenbar war der Kampf beendet, denn einer der Besatzungsmitglieder machte sich schon wieder am Motor zu schaffen. Der Thun schien wie ausgepumpt. Sein kraftstrotzender Köper, der in seiner Form an ein Torpedo erinnert, glänzte in der Sonne. Das Gaff sauste ins Wasser, und das mit Flossen bestückte Kraftbündel wurde über Bord gehievt.
Anerkennendes Raunen. „Sach‘ ma’ Barnabas, sind das die 50 kg?“. Baranbas zuckte die Achseln und meinte nur „Genug kg!!“. Damit war klar, daß sich der Tagesfang in den Plusbereich bewegt hat. Zurück an Land, bestand ich darauf, den Fisch mit eigenen Händen auf den Markt zu tragen. Das war das Ereignis des Tages. Es ging hier eindeutig nicht um den Fisch. Der wirkliche Hingucker für die Marktbesucher, war der Weiße, der sich in einer Traube von Fischern, mit einem Thunfisch auf den Schultern der Waage nährte. Menschen strömten zusammen. Touristen machten ein Photo.
Ein Besatzungsmitglied imitierte für die lachende Menge, wie ich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Fisch gefangen hatte. Die Waage schlug bei 42 kg an. Barnabas hatte mich vorher über den Kilopreis informiert, und so ließ ich es mir nicht nehmen, mit dem Händler über den Preis zu verhandeln. Natürlich versuchte dieser, den Preis zu drücken, weil er vermutete, daß es mir auf eine Rupie mehr oder weniger nicht ankäme. Doch da kannte er mich schlecht. Ich feilschte bis zum Äußersten. Das Ringen mit dem Händler gestaltete sich schwieriger, als der Fang des Thuns. Nach einem langen „Drill“ hatte ich ihn dann soweit. Der Händler, der wohl die Augen des halben Marktes auf sich gerichtet fühlte, und daher die Gelegenheit witterte seinen Großmut öffentlich zur Schau zu stellen, ging schließlich demonstrativ lachend auf meine Preisvorstellungen ein. Barnabas war sichtlich zufrieden. Bei einer Tasse Tee, gab er sich alle Mühe, mich für den Fischzug am kommenden Tag zu überreden. Ich wollte dieses einzigartige Erlebnis jedoch nicht durch ein Zweites verwässern. Selten wird es schöner als beim ersten Mal.
Vor ein paar Monaten habe ich im Supermarkt bei mir um die Ecke eine Thunfischdose in die Hände bekommen. Da stand drauf, daß diese aus „delfinfreundlichem Fang“ stammt. Nach meiner Meinung kann das nur heißen, daß die Dosenthunfische mit der Hand, b.z.w. Fußangel gefangen wurden. Das wiederum ließ mich auf den Gedanken kommen, daß vielleicht Baranbas….oder wer weiß, vielleicht sogar ich, für den Doseninhalt verantwortlich waren. Letztlich ist es nur eine Dose unter Millionen delphinfreundlich gefangener Dosen. Aber dieses Stück Blech mit Thun war in diesem Moment dafür verantwortlich, daß ich mit einem breiten Grinsen inmitten des Supermarktes, des übervollen Warenangebotes und der betäubenden Kaufhausmusik stand, und die Bilder aus Südindien an mir vorbeirauschen ließ…