Fangberichte Die King Salmon-Story
Letztes Jahr war ich in Kanada. Sicherlich hat euch schon irgendjemand die Ohren von diesem Land vollgeschwärmt und euch mit zittriger Hand beteuert, dass es das Paradies der Angelsüchtigen gibt und zwar genau zwischen Yukon, Hudson-Bay und den Rocky Mountains. Er wird in diesem Fall die Arme weit ausgebreitet haben, um die Größe der Lachse zu beschrieben, wird gesagt haben, dass die Flüsse so voll davon sind, dass man locker trockenen Fußes ans jeweilige andere Ufer gelangt und wird sich in der Beschreibung der einsamsten und abenteuerlichsten Angelstellen inmitten der unberührtesten Wildnis verlieren.
Was immer er euch gesagt hat, vergesst es,… es ist noch viel besser. Die Fische sind noch größer und der Himmel noch blauer als dass man es beschreiben kann, ohne in der Verdacht der Übertreibung zu kommen. Ich habe mich daher sehr schwer getan, meine Erfahrungen mit den kanadischen Fischen in einen Bericht zu gießen. Ich tue es nun trotzdem, um ein Versprechen einzulösen, doch dazu später.
Ich unternahm die Reise mit meinem Vater. Dieser gemeinsame Traum wartete schon zu lange auf uns und so beschlossen wir im August letzten Jahres von Vancouver bis nach Alaska zu fahren. Von meinem Bruder erhielt ich den dringenden Auftrag meinen Vater zu einem Angelabhängigen zu machen. „Stoff“ dafür gab es zwar jede Menge in Kanada, doch ließ der entscheidende Funke doch lange auf sich warten. Ich überspringe an dieser Stelle mit einem schlechten Gewissen Vancouver Island, die Rocky Mountains, den Yukon und Alaska. Nur soviel. Das Angelparadies findet dort überall statt. Eine Stelle besser als die andere. Wenn ich nur an diesen wunderbaren Wildbach auf Vancouver Island denke… nein, genug davon.
Wo ich bei uns in Norddeutschland schon froh über einen kleines Bächlein mit Forellenbesatz bin, erfreut sich der Kanadier über zahlreiche Flüsse mit mehreren Lachs und Forellenarten, die alle unterschiedlich beangelt werden wollen. Die häufigsten sind Stealhead, Coho und Chinhook. Letzterer wird unter den Angelsüchtigen Kanadas auch als King Salmon verehrt. Dieser größte Lachs Kanadas zieht einmal im Jahr zum Laichen die Flüsse herauf und überwindet dabei Stromschnellen und kleinere Wasserfälle. Und wer sowas kann, der bietet auch an einer Spin- oder Fliegenrute eine ganz brauchbare Vorstellung. Ich, obwohl schwer begeistert und infiziert von dem Mythos des King‘s, wollte uns unsere Reise nicht dadurch verderben, dass wir nur diesem einen Fisch hinterherjagen, zumal ungewiss war, ob überhaupt gerade die Zeit für den Aufstieg war. Aber wenn er uns über den Weg laufen sollte, wollte ich es in jedem Fall versuchen.
Ich steige mit meiner Erzählung auf dem Cassier Highway ein. Dieser führt in einer graden Linie nach Norden. Neben dem Alaska Highway stellt diese Piste die einzige Verbindung ins Yukon Gebiet dar. Manche sagen, dass es fahrlässig wäre, diese Piste ohne zwei Ersatzreifen zu befahren, da die Ortschaften (2 Häuser und eine Tankstelle) mitunter 300 km auseinander liegen. Man fährt direkt neben den schneebedeckten Ausläufern der Rocky Mountains. Da wir in der Touristenzeit da waren, war die Strasse hochfrequntiert, was soviel bedeutete als dass uns jede Stunde ein Auto entgegenkam. Es wird an manchen Strecken auch mit einem Schild darauf hingewiesen, dass der Cassier Highway als reguläre Landebahn für Kleinflugzeuge benutzt werden darf (Flugzeuge haben dann Vorfahrt).
Da wir jede Menge Zeit im Gepäck hatten, entschlossen wir uns, den beiden einzigen Abfahrten auf dieser 1500 km langen Strasse zu folgen. Die erste führte uns nach Hyder (Alaska). Dort gibt es einen Platz, wo man Bären beim Lachsfangen zusehen kann. Über einen Lachsfluss ist eine massive Holzbrücke gebaut worden, von wo aus die Chance besteht, Meister Petz beim Abendbrot zuzusehen. Ich war skeptisch. Das Einrichten massiver Beobachtungsplattformen führt meistens dazu, dass sich die Wildtiere einen anderen Futterplatz suchen. Außerdem hielt ich es für unwahrscheinlich, dass wir genau dann kommen, wenn der Bär da ist – zumal sich bereits 300 Menschen auf der 200 Meter langen Brücke eingefunden hatten und mit aufgeschraubten Monsterobjektiven die Ankunft des Grizzlys erwarteten. Jetzt war es für mich zur Gewissheit geworden. Meister Petz wird sich hier garantiert nicht vor 300 Menschen auf Lachsfang begeben. Der hat sich schon längst eine andere Stelle gesucht oder ist zum Vegetarier geworden. Dennoch gingen wir hin. Keine Bären weit und breit. Die Tour hatte sich aber dennoch gelohnt. Der Fluss, um den die Brücke gebaut war, kochte förmlich unter uns. Tausende Lachse brodelten in dem seichten Wasser.
Einige waren so groß, dass ihre buckligen Körper beim Schwimmen aus dem Wasser ragten. Für einen Angler ist dieser Anblick Faszination und Folter zu gleich. Ich kam mir vor wie ein Alkoholabhängiger nach einer Woche Entzug, bei der Besichtigung einer Whiskeydestille. Gigantische rotgefärbte Fische schwammen dort ihre letzte Stromschnelle hinauf, um nach getaner Arbeit zu sterben. Die Diskussion um den bedrohten kanadischen Wildlachs konnte ich bei dem Lärm dieses brodelnden Überflusses gar nicht mehr hören. Kurz habe ich mir überlegt, wie es wäre, jetzt schnell ins Auto zu laufen und die Angel zusammenzustecken, um damit dann den 300 Grizzlyfans einen kleinen Einführungskurs in die Kunst der Spinnangelei zu geben. Die Hälfte der anwesenden Tarnjackenträger sah aber so aus, als arbeiteten sie beim WWF oder beim CIA. Die hätten mich wohl schon eigenhändig mit Honig beschmiert und zur besten Grizzlyzeit an einen Baum gebunden, bevor ich auch nur versucht hätte den Rollenbügel umzulegen. Ich habe mich außerdem gefragt, ob es so schlau wäre, ausgerechnet in einem Fluss zu angeln, der als „Grizzlys Favorite Place“ im Reiseführer angepriesen wird. Folglich ließ ich meine zittrigen Hände von der Angel und reihte mich in den Reigen der Bärenliebhaber ein. Ich fragte einen Naturparkwächter, da mir die Angst vor einer Grizzlybegegnung in freier Wildbahn noch immer das ein oder andere Nackenhaar sträubte, nach den besten Verteidigungsmöglichkeiten.
Verteidigung, so erklärte der mir, sei so gut wie aussichtslos. Wenn der Grizzly sich entschieden hat, Dich zu fressen, dann tut er das auch. Was von Dir bleibt, ist in den meisten Fällen nicht mehr als ein Reisverschluss oder eine Schuhsohle. Man könne aber selbstverständlich versuchen, mit ihm zu diskutieren. Ruhige, besänftigende Worte führten danach wohl am weitesten. Auf jeden Fall sollte man Augenkontakt vermeiden. Der Naturschutzmensch sagte mir weiter, dass seit 25 Jahren die Grizzlys übrigens Punkt 8 das Lätzchen schnüren und an den Fluss kommen. Und so war es. Kurz nach acht begann das Grizzlybanquet.
Die Grizzlydiva erschien, schaute in die Runde um die erlesenen Bärenfans willkommen zu heißen, roch hier und da an einem der gestrigen Kadaver, so als wolle sie an die letzte Show erinnern und ging dann ohne Hast zum Fluss. Der kleine Bär folgte ihr. Sobald sie die erste Tatze ins Wasser gesetzt hatte brach wilde Panik unter dem Lachsvolk aus. Das Wasser spritzte auf und schwarze und rote Pfeile schossen durch die Wellen. Die Grizzleydame hatte keine Eile bei der Jagd. Genüsslich schlenderte sie zu Mitte des Flusses und begann mit einigen Lockerungsübungen. Der kleine Bäre hetzte dagegen völlig kopflos durch den Bach, stolperte in ein Loch, rappelte sich wieder auf, setzte dem erst besten Lachs nach (der größer war als er selbst), gab die Verfolgung zugunsten eines anderen wieder auf, begann dann wieder mit der Jagd des ersten, u.s.w. Die Bärenmama sah nicht so aus, als machte sie sich viel Gedanken um das Jagdglück ihres Nachwuchses. Mit einer lässigen Bewegung aus dem unteren Tatzengelenk, pflügte sie ihre gewaltigen Pranke durchs Wasser und bald darauf flog ihr ein fetter Lachs direkt ins Maul. Ein kurzer Blick zum Publikum, so als erbitte sie sich Applaus und dann trug sie die fette Beute an Land. Der Bärenhunger wurde innerhalb kürzester Zeit mit bestimmt 10 Kilo bestem rosaroten Lachsfleisch (im deutschen Supermarkt ein Vermögen !!!) gestillt. Danach ging die Jagd weiter. Für uns sicherlich eines der ganz großen Erlebnisse unserer Kanadatour. Aber selberfangen macht fett.
Die nächste Abfahrt des Cassierhighways ging nach Telegraph Creek. Auf der Karte schlängelte sich dort, direkt neben der Strasse der Skeena River. Dieser wiederum hat Verbindung zum Pazifik. Je länger ich mir den Flussverlauf auf der Karte anschaute, desto deutlicher konnte ich die Armada von Lachsen sehen, wie sie dicht an dicht die Stromschnellen empor jagte. Leider wurden meine Lachsträumereien immer wieder von dem Gedanken an die Grizzlydame vom Vortag unterbrochen. Jedenfalls, so war ich mir sicher, würde ich um 8.00 Uhr spätestens den Fluss verlassen… besser noch halb acht.
Meine Lachshoffnungen fanden Bestätigung in einer alten kanadische Indianerweisheit. Wenn die früher loszogen um die Heilkräuter zu suchen, an die sich heute nur noch wenige erinnern, dann fuhren sie zu diesem Zweck mit dem Kanu mitunter wochenlang die Flussläufe hinab, obwohl diese Kräuter auch bei ihnen vor der Haustür wuchsen. Sie waren fest davon überzeugt, dass Zauber und Heilkraft der Kräuter mit jedem zurückgelegten Kilometer steigen würden. Wenn man diese indianische Weisheit nun auf unseren Umweg nach Telegraph Creek übertragen hätte, so wären wir wohl direkt in das Zauberland schlechthin gefahren. Neben der 300 km langen Stichstrasse die wir nun befuhren, nahm sich die Schotterpiste des Cassier Highways wie eine deutsche Autobahn aus.
Abenteuerliche Serpentinen, mitunter bis zu 20 % Gefälle (bzw. Anstieg) und wilde Pferde auf der Piste. Nach 250 km waren wir im Indianer Gebiet der Tuchonen, oder wie es korrekt heißt: „Im Reservat der First Nations“. Meinem Vater hatte ich noch nicht allzu viel von meiner Lachshoffnung erzählt. Ich äußerte nur, dass zumindest die Möglichkeit bestünde ein paar alte Goldgräberrelikte bzw. Indianerdörfer zu finden.
Die fanden wir dann auch. Zum einen war da das Sommercamp der Tuchonen, welches im Großen und Ganzen aus einer Reihe von verlassenen Bretterverschlägen bestand, die mit Elchgeweihen und verrosteten Fahrzeugersatzteilen bestückt waren. Zum anderen 10 km weiter, war da die Siedlung der Weißen, welche im Wesentlichen ebenfalls aus Bretterverschlägen, weiteren Elchgeweihen und der fehlenden Hälfte der verrosteten Fahrzeugbestandteile zu bestehen schien. Ob ich da leben möchte, weiß ich immer noch nicht so ganz genau, aber nachdem was wir an dem folgenden Nachmittag dort erlebt haben, wäre es sicher nicht verkehrt sich dort mal nach den Grundstückspreisen zu erkundigen.
Ich hatte das mit dem King Salmon schon an dem ein oder anderen Fluss probiert, aber ohne Erfolg. Zwar sah man die fetten Viecher ab und an mal springen, doch beißen wollte keiner. Ein Guide musste her!! Ich war besessen von der Idee, meinen Vater mit einem dicken Fisch an der Angel zu erleben und ihn so tief in die Abhängigkeit zu ziehen. Wenn unsere Gene dieselben sind, dann müsste der Drill eines Lachses bei ihm eigentlich eine handfeste Fischsucht auslösen. Wir waren schon wieder auf der Rückfahrt von Telegraph Creek und durchquerten gerade das Indianerdorf. Ständig suchte ich nach Zeichen die auf einen Guide hindeuteten. Auf dem Blatt einer rostigen Holzfällersäge stand geschrieben: „Alte Angler sterben nie,… sie riechen nur so“.
„Na also“ dachte ich, „wir sind dicht dran“. Gleich daneben dann ein Pappschild auf welchem Räucherlachs, Schokokuchen und Angelausrüstung (wirklich in dieser Reihenfolge !!!) angeboten wurde.
„BREMSEN VATER, BREEEEMSE“ schrie ich. Wir waren am Ziel unserer Reise angekommen. Der Platz gehörte einer Tuchonenfamilie. Zu Hause war aber nur die Squaw mit 3 rotznäsigen braungebrannten Indianerkindern mit durchlöcherten Trainingshosen und pechschwarzem Haar. Sie war gerade dabei einige fette Lachse ins Räucherhaus zu hängen. Ihr Mann, so sagte sie, macht die Guidingtouren. Dieser sei aber zurzeit in der Stadt. Er müsste so in 2-3 Stunden wieder hier sein. Die Uhr war bereits 12.00 und ich fragte mich ernsthaft, ob sich das Warten lohnt, zumal hier im Umkreis von 500 km keine Stadt war. Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte ich zwar gewartet bis der erste Schnee fällt, doch hatte ich ja
einen (noch) Nichtangler an meiner Seite. Mein Vater hatte aber nichts gegen eine Pause, und so warteten wir. In der Zwischenzeit führte uns die Indianerfrau durch das Räucherhaus und fuhr mit uns ins nächste Dorf um eine Angellizenz zu kaufen. Da ihr Mann auch nach 4 Stunden nicht aufkreuzte wurde ich langsam nervös. Ich saß in der Sonne, kaute auf einem Stück Trockenlachs und wartete händeringend auf den Fischhäuptling. Die Zeit verging überhaupt nicht. Zäh wie ein Stück Trocklachs im Räucherofen hing sie in der Gluthitze des Nachmittags.
Dann endlich. Hundgebell aus den Kehlen eines dieser Huskie-Schäferhundkreuzungen die unter unserem Auto nach Schatten hechelten. Gary lizensierter Lachsguide vom Stamm der Tuchonen schlingerte sonnenbebrillt und unrasiert mit seinem Pick up die Einfahrt hoch. Zu meiner Erleichterung war es ein absolut freundlicher Indianer, der absolut keinen Groll gegen Bleichgesichter hegte. Er war einer von uns, das konnte man riechen. Er meinte, wir könnten um 5 pm am Fluss sein und bis um 21.00 Uhr angeln.
Ich: Und Geld Herr Indianer?
Er: Mmmh Mal überlegen…. Klingen 100 Dollar (70 Euro) zu viel?
Ich: Wie steht’s mit dem Fischen?
Er: Also ehrlich gesagt, es war letztes Jahr besser. Ich hab’ dieses Jahr nur einen einzigen Lachs über 30 Pfund gefangen.
Ich (musste mich arg zusammenreißen, dass mir nicht der Kiefer
runterfällt): Wie schwer?
Er: Nur 34 Pfund
Ich: Na wenn wir einen um die 10 Pfund fangen, ist das schon in Ordnung.
Er: Jau, dass sollte drin sein. Gib mir 10 Minuten ich pack schnell alles zusammen
Ich: Wie wär’s mit 8
Er (lacht ein vielsagendes Lächeln der Vorfreude, so als hätte er einen Gleichgesinnten entdeckt): Ich bin in 5 Minuten fertig.
Und was der alles mitnahm. Er hatte zwei Angeln (ich bestand auf meiner eigenen) sowie einen Koffer für Verpflegung und einen Rucksack mit Ausrüstung. Alles zusammen bestimmt an die 15 Kilo. Zudem baumelte ihm noch ein fettes Feuerrohr um die Schulter, dessen Mündungslauf ungefähr den Durchmesser einer mitteleuropäischen Kaltwasserleitung hatte. Da ich weder Gaff noch Kescher sah, fragt ich ihn, ob er damit den Lachs zu landen gedenke? „Nötig wäre das wohl mitunter“ grinste Gary, „aber das Ding ist meine Bärenversicherung. Billig und äußerst effektiv“. Er warf alles hinten auf den Pick up, machte sich eine Pepsi auf und düste mit uns an den Tuchon River, einem exklusiven Fluß im Tuchonenreservat. Er hatte als einziges Stammesmitglied die Erlaubnis, die Touristen zu führen. Mein Vater war auf dem Rücksitz des Indianer Pick up`s, der sich eine unbefahrbare Strasse hinaufwand, wieder zu neuem Leben erwacht.
„Sohn, frag’ ihn doch mal, ob er Bären schießt, ob er manchmal auch noch mit dem Bogen loszieht, wo die Zelte stehen, was er im Winter macht… etc.“ Gary genoss es zu erzählen und ich hatte einmal mehr den Eindruck, dass ich nur der Dolmetscher zwischen zwei Leuten bin, die sich eigentlich auch ohne Worte richtig prächtig verstehen würden. Der letzte Rest der holprigen Strasse war vor einigen Jahren von einem Erdrutsch weggefegt worden, so dass wir den letzten Kilometer zum Fluss einen Abhang runter rutschen mussten. Gary steckte in seine Bärenversicherung schnell noch drei von den extrafetten Patronen, schulterte das Gepäck und ab ging’s, durch den Busch. Die großen Patronen, so versicherte er mir, nimmt er nur äußerst ungern mit, weil man da schon nach 2 Schuss ganz fürchterliche Kopfschmerzen kriegt, und der Rückstoß einen fast umhaut, aber bei einem Grizzly müsse man das schon mal in Kauf nehmen. Punkt 5 pm waren wir am Fluß. Ein Adler der uns entdeckt hatte, ließ sich von seinem Baum fallen und glitt majestätisch über den großen blauen Pool, den der Tuchone River hier im Tal bildete. Kurz darauf sprang ein Lachs, der fast schon zu fett zum Springen war gegen die Strömung. Sein massiger Körper schien für einen Moment in der Luft zu stehen bevor er unüberhörbar ins Wasser knallte. Der hatte mindestens seine 20 Pfund, kommentierte Garry den Sprung.
„Ist das der Platz, Gary?“. Unser Guide nickte und grinste nur. Mir fällt bei der Beschreibung des Ortes nur ein Wort ein: „Perfekt“. Ich hab’ drei Nächte danach noch von dieser Stelle geträumt. Wir standen auf einer Landzunge. Die Strömung donnerte mit weißem Schaum links an uns vorbei und prallte an eine gegenüberliegende Felswand. Die dadurch entstehenden Verwirbelungen hatten dazu geführt, dass sich direkt vor uns ein 50 Meter breiter Pool entwickelt hatte. Rechts von uns nahm das Wasser wieder langsam an Fahrt auf und verwandelte sich erneut in die tosende Gischt. Ich wollte gerade meine Angel fertig machen, da drückt mir Gary diese schon fertig präpariert in die Hand. Oooh der Indianer
hatte mich durchschaut. Er ahnte wohl genau, wer hier der Süchtige in der Reisegruppe war und wer zuerst bedient werden musste. Gefischt wurde mit Spin-O-Glow, einer Art Pflaume mit Flügeln. Am Haken, der gleich dahinter kam, hängte unser Guide selbstpräparierten Lachsrogen (eine Geheimrezeptur). Das ganze wurde mit einem Gewicht beschwert und in die Strömung geschmissen, wo es dann möglichst grundnah treiben sollte. Bevor ich das ganze genau dahin pfefferte wo ich den Lachs springen gesehen hatte, machte mir Gary noch schnell mal die Unterschiede zwischen einem Hänger und einem Lachs deutlich.
„Das hier sind Steine“ erklärte er mir und zuppelte ein bisschen an der Schnur. „Und das hier“, er zuppelte weiter „ist ein Fisch“. „O.K. alles klar, dass ist ja wirklich einfach“, sagte ich. Aber unter uns, jetzt kann ich’s ja sagen,…. Ich hab’ keine Ahnung was er mir sagen wollte. Für mich fühlte sich beides gleich an. Also raus damit. Aaaaaah, was für ein Wurf. Meine Konstruktion landete 1 Meter vor der Felswand, wurde von der Strömung nach unten gezerrt und dümpelte nun Meter um Meter in den Pool hinein.
Gary machte meinem Vater inzwischen klar, wie er mit der Multirolle werfen sollte. Gerne hätte ich ihm die Erklärungsversuche übersetzt, aber das ging jetzt wirklich nicht. Alle meine Sinne waren damit beschäftigt den Unterschied zwischen Lachs und Steinkontakt zu erfühlen. Doch nichts. Ich holte meine Angel rein, Köderkontrolle. Nein, daran lag’s nicht. Der Rogen sah noch aus, wie aus dem Ei gepellt. „Neiiiiin…. Mach du ma`…. Komm…. Nein ehrlich nicht“ höre ich meinen Vater von rechts. Ich dreh mich hin, um ihm jetzt vielleicht doch eine Hilfestellung bei der Rolle zu geben, doch das was ich sehe, lässt meine Kieferklappe runterschlagen.
Die Rute von Gary ist krumm wie ein Apachenflitzbogen, während er damit beschäftigt ist, meinen Vater zu überreden, die Angel zu übernehmen. So sind sie die Indianer, selbstlos bis in die Knochen. Und was macht mein Vater? Er will nicht!!! Es war zum Wahnsinnigwerden. „Nun mach` schon“ höre ich mich kreischen. „O.K.“ denke ich, „wenn er die jetzt bei Drei nicht nimmt, dann nehm` ich der Rothaut die Rute ab und mach das Ding selber klar“. Kurz bevor mein Geduldsfaden sich im Adrenalin auflöste, nahm mein Vater aber doch die Angel in die Hand. Gleich darauf ein Ausfallschritt in Richtung Wasser, um die ersten heftigen Schläge abzufangen. Hach, dass ich das noch erleben durfte. Mein Vater steht mit Holkreuz, rotem Kopf und verzerrtem Gesicht am Lachsfluss und hält gegen. Unglaublich. Dabei waren noch nicht einmal 5 Minuten vergangen. Trotz all dem Fieber, dass jetzt auch mich gepackt hatte, kann ich mir ein paar dumme Kommentare nicht verkneifen: „Nicht locker lassen …. Vater… Nicht aufgeben…. Du schaffst das“. Nach Späßen war meinem Erzeuger aber wohl gerade nicht zu Mute. Hochkonzentriert, versucht er Kontakt zum Fisch zu halten. Dieser kam nun aber, nachdem er einige Meter Schnur aus der Multirolle gezogen hatte, wieder direkt auf’s Ufer zugeschwommen. „Sehne straffhalten….“ sage ich, und bemühe mich gleichzeitig etwas beruhigend auf ihn einzuwirken, denn allem Anschein nach ist er mit der Situation überfordert. Da er die Sehne nicht so schnell nachwickeln kann, wie der Lachs aufs Ufer zugeschwommen kommt, macht er instinktiv das einzig Richtige und bewegt sich Meter um Meter von dem Ufer weg. Als er eine kleine Böschung erreicht hat, nimmt der Fisch wieder Kurs in Richtung Poolmitte.
Mein Vater reagiert indem er die Böschung verlässt und ihm folgt. Ich habe noch keine Ahnung wie schwer der Lachs da unten tatsächlich zieht, aber die ersten Minuten war er eindeutig der Chef im Ring. Ich konnte da gar nicht hinsehen. In mir hörte ich deutliche Stimmen, die mir lautstark befahlen, selbst die Angel in die Hand zu nehmen um den Fisch zu drillen. Ich widerstand. Das Beobachten dessen, was mein Vater hochkonzentriert mit dem Fisch anstellte, bzw. der Fisch mit meinem hochkonzentrierten Vater, war besser als jeder eigene Drill.
Ich versuchte dennoch, ihm dezent den ein oder anderen Drillvorschlag zu unterbreiten… vergeblich. Er hatte jeden Kontakt zur Außenwelt abgebrochen und war fest entschlossen den Fisch alleine zu fangen. Nach 5 Minuten intensiver Arbeit verließen ihn dann aber merklich die Kräfte (ich spreche von meinem Vater, nicht vom Lachs). Um die Hebelwirkung der Rute zu vergrößern, griff er mit der rechten Hand zur Mitte der Rute und lehnte sich mit aller Kraft dagegen. Bei diesem Anblick kniff ich die Augen zusammen und hielt mir schützend die Hand vor die Augen. Ich erwartete jetzt ganz sicher den längst fälligen Rutenbruch. Doch nichts dergleichen passierte. Unser Guide vom Stamm der Tuchonen hatte in feinstes Bleichgesichtermaterial investiert. Als der Fisch schließlich in einem Anflug von Größenwahn wieder Richtung Ufer schwamm (Mein Vater war mit der durchgebogenen Rute schon wieder rückwärts auf die Böschung gekrabbelt), stellten Gary und ich uns bereit, um ihn in Empfang zu nehmen. Als der Lachs das erste Mal aus dem Wasser auftauchte traute ich mich dann aber doch nicht. Das, was da vor mir schwamm glich eher einer Kegelrobbe als einem Lachs. Ein gigantisches Vieh, anders kann man es nicht ausdrücken, kam da zum Vorschein. Während ich noch überlegte wo man da wohl am besten anfasst, packte Gary ihn beherzt am Laichhaken und schleifte ihn auf die Steine.
Ich stellte mich gleich zwischen das Monster und den Fluss, um ihm den Fluchtweg abzuschneiden. Möchtet ihr den behalten? fragte uns Gary. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass es so was wie „Catch and Release“ gibt, fand aber, dass es der denkbar ungeeignetste Zeitpunkt war, mit dieser Unsitte anzufangen. Die Wage zeigte 39 Pfund. Gary schüttelte den Kopf. „Dein erster Fisch in Kanada und dann gleich einer, den sich andere Leute ausgestopft an die Wand nageln würden.“
Er konnte es nicht fassen. Vielleicht reute es ihn schon ein bisschen, dass er die Angel so leichtfertig aus der Hand gegeben hatte. Vater, der Held des Tages, setzte sich aber erst mal auf einen Stein, zog seine Jacke aus und rieb sich die Oberarme. Für mich gab’s keine Zeit zu verlieren. Diese Art von Erschöpfung wollte ich auch. Noch konzentrierter als zuvor versuchte ich mich in jeden Zupfer den ich spürte hineinzuversetzen. Lieber einmal mehr anschlagen, als einen Biss verpassen, sagte ich mir, und so zog ich bei der kleinsten Berührung an. Kurz nachdem mal wieder ein Anschlag von mir ins Leere gegangen war, sprang ungefähr 15 Meter links von mir ein gigantischer Fisch durch die Gischt. Nur, hatte ich eben richtig gesehen, oder hatte der meinen gelben Spin-O-Glow in seinem grinsenden Maul? Die Frage hatte sich erübrigt, denn schon Sekundenbruchteile später hatte ich das Gefühl, als würde mir die Angel aus der Hand gerissen. Auch ich machte erstmal einen Ausfallschritt in Richtung Wasser.
Wie Ben Johnson auf Doping fegte der Lachs durch die Strömung. Eine unglaubliche Kraft. Ich hatte zum ersten Mal an einem Fluss das Gefühl, dass ich einen Fisch nicht halten kann. Ich hatte die Drillbremse kurz vor Ultimo eingestellt und war angesichts der Mengen an Schnur die aus meiner Rolle flog, völlig ratlos. Vor lauter Hilflosigkeit, möchte man dem Fisch „Halt an“ hinterher schreien, doch sie können einen ja nicht hören. Laut dem Winkel meiner Schnur, musste er jetzt den Pool vor mir erreicht haben. Voller Sorge sah’ ich dem Moment entgegen, wo er sozusagen mit „Rückwind“ in die Stromschnellen zu meiner Rechten reinschießen würde. Konnte ich ihn jetzt nur mit Mühe und knarrender Drillbremse halten, so wäre er in den
Stromschnellen mit Sicherheit auf und davon. Und so als konnte er Gedanken lesen, machte er sich schnurstracks daran, sein Heil in der vielversprechenden Flucht flussabwärts zu versuchen. Zwar war er noch im Pool, doch hatte ich keine Ahnung wie ich ihn davon abhalten sollte, in die Stromschnellen zu schwimmen. Er zog weiter Meter um Meter aus meiner Rolle. Mit jedem Meter näherte er sich der Ausgangstür bei der einsetzenden Strömung. Noch 5 Meter, noch 3… Ich setzte alles auf eine Karte, senkte den Winkel der Rute, damit sich der Hebel verkleinerte und drückte meine linke Hand auf die Spule, um der Drillbremse zu helfen.
Das mussten jetzt auf alle Fälle mehr, als die 13 Kilo sein, für die die Schnur laut Hersteller ausgelegt war. Doch was hilft`s, der Fisch wäre ja so oder so weg, ob ihm die Flucht nun gelingt, weil er meine Rolle leerräumt oder aber den Haken abreißt, ist dann eigentlich auch egal. Aber dann stand mir das Glück zur Seite. Der Lachs machte eine schnelle Drehung und raste wie angestochen wieder stromaufwärst. In dieser Richtung, spielte die Strömung für mich und so setzte meine Atmung wieder stoßweise ein. Das bedeutete selbstverständlich nicht, dass der Kampf vorbei war. Immer wieder setzte mein Gegenüber zu neuen Zwischensprints an. Ich habe ihn allerdings dann nicht wieder so dicht an den Beckenrand ziehen lassen, wie beim ersten Mal. Und so leistete er dem Rekordfisch von meinem Erziehungsberechtigten schließlich mit seinen 36 Pfund Gesellschaft. Wir beide rissen uns noch mal zu einem Siegerphoto zusammen, aber dann brauchte auch ich erstmal `ne Pause.
Vor uns lagen ungefähr 15 Kilogramm reines Lachsfilet und noch eine Woche Kanada. Das hätte bedeutet, dass wir von nun an jeden Tag über 2 Kilo Lachs hätten essen müssen…. Also beim besten Willen, und bei aller Liebe zum Fisch. Das war zu viel. Daher ließen wir alle weiteren gefangenen Fische wieder frei. Ich glaube (ich hab’ nicht gezählt), dass wir jeder noch so 4 bis 5 Fische zurückgesetzt haben, wovon keiner kleiner als 20 Pfund war. Das war hart an der Grenze zur Überdosis. Der Häuptling hatte noch einen schönen Biss vergurkt, von dem er später am Abend behaupten sollte, dass das der 45 Pfund Bursche war (es ist doch überall auf der Welt dasselbe, die Abgegangenen sind immer die größten). Ihm passierte genau das, was ich die ganze Zeit zu vermeiden versucht hatte. Sein Lachs flüchtete sich gleich am Anfang vom Drill, (also mit voller Kraft) in die unheilvollen Stromschnellen. Unser Indianer hatte keine Chance. Zwar stolperte er dem Fisch noch einige hundert Meter flussabwärts hinterher, doch fand der Tanz dort irgendwo in dem Wildwasser bald ein rasches Ende. Fairerweise muss man sagen, dass er auch ziemlich am äußeren Ende vom Pool geangelt hatte, so dass der Lachs es wirklich sehr leicht hatte, flussabwärts zu entkommen. Wie auch immer. Mein Vater blieb Tagessieger. Und wie ich die Sache so sehe führt er mit dem 39 pfündigen Lachs auch die Süsswasserfamilientabelle an. Als die Uhr schließlich halb acht war, waren Vater und ich so fertig vom drillen, dass wir vorschlugen den Rückweg anzutreten. Außerdem erinnerte ich mich, dass um 8 der Abendbrotstisch für die Grizzlyfamilien gedeckt werden sollte und da wollte ich unsere beiden Lachse doch vorher noch schnell vom Buffet nehmen. Gary freute sich über alle Maßen, dass wir uns so über den gelungenen Angeltag begeistern konnten. Er bestand darauf, den gefangenen Fisch allein den Berg hochzutragen. Dazu kamen auch diesmal wieder die Angelausrüstung und die großkalibrige Bärenversicherung. Zwar haben wir ihm einiges abgenommen, doch trug er wohl gut und gerne seine 40 Kilo den Berg hoch. Am Abend nach dem Filettieren wollten wir ihn noch zu einem kleinen 18 jährigen
kanadischen Feuerwasser einladen, aber er lehnte ab.
Feuerwasser sei nicht gut für roten Mann. Zwei Dinge musste ich ihm allerdings in die Hand versprechen. Zum einen, dass ich seiner Frau nicht erzähle, dass auch er einen Fisch filettieren kann (er befürchtet, dass er andernfalls in Zukunft zum Fischputzen verdonnert wird) und dass ich den anderen weißen Brüdern in meinem Land von seinem Lachsfluss erzähle. Ich versprach es ihm und so habe ich nun versucht euch in diesem Bericht das eigentlich „Unbeschreibliche“ zu beschreiben.