Fangberichte Die Brackwasser-Rapfen von Rostock
Ich hatte ja angekündigt, dass David und ich im Rahmen unseres Besuches beim Baltic Sea Store in Rostock (18106 Rostock-Schmarl Dorf im IGA Fährhaus, Tel.: 03818776430) planen, den interessierten Gästen direkt am Wasser zu zeigen, wie aus Barschen und Gummitieren eine Einheit wird. Das haben wir dann auch tatsächlich versucht. Eine Stunde lang experimentierten wir mit Gummis am Bleikopf, Wobblern in allen Größen, gezupften Blinkern und Zockern, Softjerks, Dropshot-Ködern am Texas-Rig und wieder zurück. Erfolglos. Wir beschlossen, dies auf die Beißzeit zu schieben, die ja bestimmt nicht ausgerechnet um 11 Uhr morgens losgeht, nur weil wir unseren Allerwertesten nach Rostock bewegen. Einer von uns musste also immer mal die 100 m aus dem Laden in den Hafen gehen, um ein paar Würfe zu machen.
Nach seiner ersten Sichtungstour kam David freudestrahlend zurück: „Hannes, da sind zwei Rapfen am Steg. Und zwar zwei Riesengeschosse.“ Also nix wie runter, die Blinker montiert und eine halbe Stunde ein Modell nach dem anderen getestet. „Bist Du Dir sicher, dass das keine Halluzination war?“ „Ganz sicher, Du A…“
Von einem der nächsten Kontrollgänge kam David mit einem die höchste Alarmstufe anzeigenden Gesichtsausdruck zu uns herein gerannt. „Jetzt sind sie wieder da! Von wegen Halluzination! Komm mit.“ Ich befand mich zu der Zeit allerdings in einem Beratungsgespräch, so dass Baltic Store-Mitarbeiter Christian mit David in den Hafen ging. Als unsere beiden Scouts wieder hochkamen, grinste mich David an: „Wir Idioten haben den halben Tag auf Monstermeeräschen geblinkert.“
„Meeräschen???“ – da lief dann unser Kumpel Matthias vom Pure Fishing Meeresteam zu Höchstform auf. „Los, Johannes. Sofort Fluocarbon anbinden, einen kleinen Haken anknüppern und ein Brötchen organisieren!“
Meeräsche? Rostocker Hafen?? Da war doch was??? Richtig! Vor so ziemlich genau zwei Jahren hatte der tiger eine dramatische Geschichte eingereicht, in der er seine vergeblichen Versuche schilderte, eine Meeräsche im Rostocker Hafen zu erwischen. Mir war also klar, dass die Chancen nicht besonders gut standen, so ein Ding an den Haken zu bekommen. Doch für die Vertiefung solcher Minus-Gedanken blieb keine Zeit. Fluorocarbon. Haken. Brötchen. Fertig. Binnen fünf Minuten waren wir meeräschenfertig. Die Spannung stieg auf dem kurzen Weg zum Steg ins Unermessliche. Erst als wir die Bretter der Hafenanlage betraten, verlangsamte sich der hastige Schritt.
Langsam schoben wir unsere polbrillenbewehrten Köpfe über den Steg. Und tatsächlich. Da kamen sie. Ein Trupp gigantischer Meeräschen nahm Kurs auf das vordere Ende des Steges. Rücken so breit wie die von Graskarpfen durchbrachen das Wasser. Neugierig beäugten sie die von uns aus dem Handgelenk servierten Brotflocken.
Jetzt nur nichts überhasten und schauen, was die Fische machen. Zu unserer Enttäuschung ignorierten sie die großen Happen. Stattdessen schienen sie irgendetwas ganz Kleines kurz unterhalb der Oberfläche aus dem Wasser zu filtern. Jedenfalls machten sie auf uns den Eindruck, als würden sie sich fast um die unsichtbare Nahrung streiten. Immer wieder prallten sie mit ihren Körpern zusammen und stießen sich gegenseitig weg.
Matthias hatte genug gesehen. Die Tiere verlangten nach Salat. Während er sich aufmachte, ein paar Algen zu organisieren, beschloss ich, den Haken von außen unter der Rinde einer nicht zu großen Flocke mit Kruste zu verstecken und den Köder mit dem Weißen nach unten zwischen den anderen Krumen abzulegen.
Da lagen sie nun auf den Wellen, unsere Meeräschenhäppchen. Drumherum Schatten. Immer wieder Silberblitze. Und Buckel. Breite Buckel. Die Zeit schien still zu stehen. Gebannt blickten wir aufs Wasser. Auch Mathias, der inzwischen mit einer Hand voll Algen am Start war und schnell ein Büschel am Haken befestigte.
Fupps. Da war sie weg. Wo gerade noch meine Flocke tänzelte war jetzt ein Strudel. „Schlag an!“, rief David. Ich gab dem Fisch noch eine Sekunde Zeit. Dann zuckte die Rocksweeper zurück – in der Erwartung, dass mir eh nur der Haken um die Ohren fliegen würde. Stattdessen aber war sie krumm und in diesem Moment fing auch schon die Rolle an zu kreischen. Vor lauter Übermut und Freude ließ ich mich zu einem lauten „HÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄNGT!“ hinreißen, woraufhin gleich an mehreren Ecken im Hafen Nervosität ausbrach. DEN Fisch wollten alle sehen. Denn anderes als David erkannten die Einheimischen sofort, dass es sich um eine Meeräsche handeln musste, die da an der Angel tobte.
Der hilfsbereite Kutterkapitän Lothar von der Storkow und ein angelnder Stegplatzinhaber boten auch sofort einen Kescher an. Der Fisch war reif zur Landung.
Ein Spurt zum Kutter schien zu lange. Also kam nur der Kescher in Frage, von dem uns ein mit einem Code gesichertes Tor trennte. Zum Glück kannte Keschermeister Christian den Schlüssel für die Steganlage, so dass wir den Fisch dann sicher landen konnten.
Aber wir waren ja auch noch einen Tag da. Gepusht durch die Aufmerksamkeit, die dieser Fang im Hafen, im Angelladen und im alltäglichen Leben erregte (weder die verrückte Kellnerin vom Freibeuter noch unser Herbergsvater wollten uns glauben, dass wir eine der Unfangbaren erwischt hatten) schmiedeten wir am Abend den perfekten Plan: Ein Algenteigbällchen an freier Leine sollte es richten, das wir zwischen den Algen vorm Traditionsschiff ablegen wollten.
In einer Vortragspause stahlen wir uns mit unserem Teig ans Wasser. Wild entschlossen, heute so eins von den Schiffen zu verhaften.
Als David dann auch noch viel mehr Meeräschen als am Vortag beim Algen-Äsen entdeckte, war uns klar, dass einer von uns heute noch einen spannenden Drill vor sich hatte. Denn auch wenn diese Fische sogar vor den Schatten von über ihnen fliegenden Möwen fliehen – eine sollte ja wohl drin sein. Inzwischen waren auch Martin und Douglas da – zwei Meeräschen-Cracks aus Rostock, die in diesem Jahr schon ein paar dieser unfangbaren Fische fangen konnten. Anstatt mit Rocksweeper 2,10 und Fanta 1,80 rückten sie den Fischen mit langen Teleruten, Meeräschenfutter von Sensas und Brotflocken am Waggler auf die Schuppen.
Immer wieder kamen die Meeräschen vorbei, brachen ihre Algenabzupfarien aber immer kurz vor dem Moment ab, in dem sie in Reichweite unserer Teigmurmeln kamen. So waren sie also irgendwie nicht fangbar. Also mal einen Meter weiter werfen und etwas tiefer anbieten. Und keine zwei Minuten später kam der Biss! Deutlich zu erkennen an einem Zucken in der Schnur. Adrenalin! Ich ließ den Fisch kurz laufen, setze den Anhieb und staunte nicht schlecht, als mir dieser Plötz hier fast entgegenflog.
Dann war unsere Pause aber auch irgendwann ausgereizt. Anfixt von dieser Angelei gingen wir zurück ins Baltic Sea Store und ließen Douglas und Martin mit der Bitte im Meeräschen-Eldorado zurück, uns bescheid zu sagen, sobald sie einen Fisch am Haken haben. Das haben sie ein bisschen später auch getan. Und so durften wir noch den Drill einer 3,2 kg schweren Meeräsche an der Bolognese-Rute miterleben.
Seitdem wissen wir, dass ein großer Vertreter dieser Art eine echte Herausforderung für die Fantasista darstellt. Unglaublich, wie oft Matthias den Kescher ansetzen wollte und dann wieder abbrechen musste, weil der Fisch einen anderen Plan im Kopf hatte und diesen auch eine ganze Weile lang zielstrebig verfolgte.
Wir sind nun wieder geerdet und Douglas & Martin sind jetzt unsere Helden.
PS: Zu Davids Rechtfertigung möchte ich noch erwähnen, dass wir am Abend vorher auf der Spree zusammen Rapfenangeln waren und dass ein Berliner fast schon zwangsläufig Rapfen-Alarm geben muss, wenn er torpedoförmige Fische mit silbernen Flanken sieht.