Zander Barotrauma bzw. Trommelsucht. Ein Appell!
Ich fühle mich an dieser Stelle genötigt, mal ein Thema anzusprechen, von dem ich glaube, dass sich viele von euch zu wenig Gedanken darüber machen, oder erst gar nicht machen wollen: Das Barotrauma bzw. die Trommelsucht.
Die kalte Jahreszeit rückt näher und die Fische stehen irgendwann in den tieferen Wasserschichten. Viele von euch sind da gewiss mit der Vertikalrute unterwegs und versuchen vor allem, Barsch und Zander zu fangen. Und da setzt die Problematik gewissermaßen an: Wie tief fischt ihr? Ich könnte wetten, spätestens im Winter werden nur noch wenige flacher als 10 Meter fischen.
Jetzt zählen Barsch und Zander aber zu den Physoklisten (Knochenfische, bei denen die Schwimmblase im adulten Zustand geschlossen ist und keine Verbindung zum Darmtrakt mehr besitzt). Will heißen, unsere Barschartigen (und nebenbei bemerkt auch die Quappe) sind nicht in der Lage, einen direkten Druckausgleich zu bewerkstelligen. Ihr könnt euch langsam denken, worauf ich hinaus will?
Viele von euch sind überzeugte C&R Verfechter oder längst an einem Punkt, an dem sie eine bewusste Entnahme betreiben und in Folge dessen auch eine Vielzahl von Fischen zurücksetzen, was ich durchaus unterstütze. ABER: Macht es immer Sinn zurück zu setzen? Ihr kennt alle die folgenden Szenarien: Ihr fangt einen Barsch oder Zander aus einer größeren Tiefe (dazu gleich mehr) und der Fisch hat hervorgetretene Augen und/oder bereits seine Eingeweide im Schlund (sichere Anzeichen von Trommelsucht). Ist es waidgerecht, einen Fisch mit derart deutlichen, allein äußerlichen, Verletzungen zurück zu setzten? Die Antwort kennt ihr selbst.
Nicht selten tauchen sogar diese Fische auch nochmal ab, wenn man sie „releast“. Die Überlebenschance sinkt jedoch bei bereits sichtbaren Verletzungen sehr stark.
Aber was ist überhaupt mit dem Fisch passiert?
Dazu ein kurzer Exkurs in die Physik, mit ein paar Zahlen, nur um euch mal ein Bild von Tiefen und den dort herrschenden Bedingungen zu vermitteln.
Oft wird ja davon gesprochen, dass vor allem Zander sensibel gegenüber Luftdruckschwankungen sind. Eine relativ starke Luftdruckschwankung, möglicherweise durch einen Wetterwechsel, könnte in unserem Beispiel eine Schwankung von 20hPa (Hektopascal) sein. Das spüren unsere Barschartigen in jedem Fall, ob es sich auf das Beissverhalten auswirkt, sei mal dahingestellt. Jetzt aber der Bezug zur Gewässertiefe: Angenommen, wir fischen in 10 Meter Tiefe. Der hydrostatische Druck (Wasserdruck) nimmt pro 10m Tiefe um ungefähr 1 Bar zu (in reinem Süßwasser genau 0,98 Bar). Nun kommt zu dem Wasserdruck aber auch noch der atmosphärische Druck hinzu. Dieser beträgt im Schnitt knapp über 1000hPa. Da 1000hPa = 1 Bar sind, lastet auf dem Fisch in 10 Meter Tiefe also 2 Bar Druck und in 20 Meter Wassertiefe dementsprechend 3 Bar (2 Bar (hydrostatischer Druck in 20 Metern Tiefe) + 1 Bar (atmosphärischer Druck)).
Spinnen wir jetzt den Faden zurück zum Wetterumschwung. Glauben wir daran, dass Zander und Barsch schon mit Einstellen oder Veränderungen des Fressverhaltens auf Veränderungen des Luftdrucks von 10-20 hPa reagieren, so sollte jedem klarwerden, was es für einen Fisch bedeutet, einen 100-fach höheren Druckausgleich zu bewerkstelligen, wenn man ihn aus „nur“ 10 Meter Tiefe geradewegs ins Boot kurbelt.
Soweit also zu den „Umständen“. Jetzt zu dem, was „im“ Fisch passiert: Ein Fisch ist stets bemüht, das Volumen und die Dichte seiner Schwimmblase konstant zu halten (die physikalischen Hintergründe zu erläutern, spare ich mir an dieser Stelle). Beim Auftauchen muss der Fisch nun Gas aus seiner Schwimmblase abgeben, um eine plötzliche Ausdehnung zu verhindern. Die meisten Fischarten machen eben dies über ihren Darmtrakt. Vielleicht habt ihr schon mal Blasen aufsteigen sehen, wenn ihr z.B. einen Hecht unter dem Boot hattet und ihn hoch „gepumpt“ habt.
Der Hecht hat in diesem Fall unmittelbar Gas, aus seiner sich schnell ausdehnenden Schwimmblase, über die Verbindung zum Darmtrakt abgelassen. (Er und nahezu alle anderen Süßwasserfische gehören nämlich zu den Physostomen: Knochenfische, bei denen auch im adulten Zustand noch eine Verbindung zwischen Schwimmblase und Vorderdarm besteht.) Diese Art des Druckausgleichs findet auf so direktem und schnellem Wege statt, dass all jene Fischarten deutlich weniger anfällig gegenüber dem so genannten Barotrauma (Verletzung/Läsion durch Druckveränderungen) sind.
Aber kommen wir wieder zu unseren beiden Gestreiften zurück. Bei ihnen findet der Druckausgleich über das Blut statt. Die Gase diffundieren an einem speziellen, an der Schwimmblase anliegenden Bereich (Rete mirabile, auch als Wundernetz bekannt) ins Blut und werden dann über die Kiemen abgegeben. (Auch hier erspare ich euch mal die genauen biologischen und physikalischen Abläufe.) Dieser Prozess läuft aber, wie ihr euch sicher selber denken könnt, deutlich langsamer ab.
Zieht man jetzt einen Fisch in kürzester Zeit aus entsprechender Tiefe an die Oberfläche, treten die Augen hervor, die Eingeweide quillen aus dem Schlund und der Bauch ist aufgebläht (man spricht neben Barotrauma auch von der Trommelsucht). Der Fisch kann das sich um ein mehrfaches ausdehnende Gas nicht schnell genug abgeben und erleidet dadurch eben genannte äußere ABER auch innere Verletzungen!
Soll heißen, nur weil der Fisch vorerst keine klaren Symptome eines Barotraumas hat und evtl. auch wieder abtaucht nach dem Zurücksetzen, dass er womöglich trotzdem an den Spätfolgen zu Grunde geht. Und auch die weitläufig verbreitete Praxis, Fische aus größeren Tiefen einfach nur langsam zu drillen, halte ich für wenig sinnvoll. Genügend Gas aus der Schwimmblase über das Blut zu den Kiemen zu transportieren und dort abzugeben bedarf deutlich mehr Zeit, als selbst ein hinausgezögerter Drill bietet.
Soweit zur Theorie… Jetzt kommt dann der für den Angler interessante Teil, die Praxis.
Die große Frage, die sich ja wohl oder übel stellt: Bis zu welcher Tiefe kann man guten Gewissens einen Vertreter der barschartigen Fische zurücksetzen?
Ich habe ja bis jetzt noch keine klare Tiefe genannt, ab welcher ein Fisch Schaden nimmt. Und das liegt ganz klar daran, dass es diese eine Tiefe nicht gibt. An dieser Stelle möchte ich dabei auf zwei wissenschaftliche Studien zu dem Thema verweisen (entsprechende Links stehen unten). Beide stellen nicht gerade den Goldstandard dar, aber die Messung und Bewertung von Trommelsucht bzw. Barotrauma bei Fischen ist alles andere als einfach. Beide Studien versuchen aber, Aussagen über den Zusammenhang von Fangtiefe und Sterblichkeitsrate zu tätigen.
Ich werde sie euch an dieser Stelle nicht näher vorstellen, sondern nur einige Ergebnisse anreißen. Nur so viel sei gesagt, die untersuchten Fische waren, da die Studien in Nordamerika stattfanden, nicht der europäische Zander (Sander lucioperca) oder Flussbarsch (Perca fluviatilis), sondern sehr nahe Verwandte. Vorwiegend wurden der amerikanische Zander (besser als Walleye bekannt) und der amerikanische Flussbarsch (yellow perch) untersucht. Beide gehören, genauso wie unser Flussbarsch und der europäische Zander, zu den „Echten Barschen“ (Percidae). Darüber hinaus wurden aber auch noch Daten über den Smallmouth Bass, der immerhin auch noch zur Ordnung der Barschartigen (Perciformes) gehört, gesammelt.
Hier aber jetzt einige der für euch wichtigsten Zahlen:
- In der Studie vom Rainy Lake starben Walleye´s die nach einem Fang aus 12,2 Metern zurück gesetzt wurden mit einer Wahrscheinlichkeit von fast 20%. Bei 15,2 Metern lag die Wahrscheinlichkeit, dass der Fisch verendet schon bei 35%.
- Deutlich drastischer fielen die Ergebnisse der Studie am St. Lawrence River aus. Hier lagen die Tiefen, bei denen die Fische zu 50% starben schon bei 13,1m für Smallmouth, 11.7m für Yellow Perch und 12,5m für Walleye´s.
Ich muss an dieser Stelle nochmal erwähnen, dass sich die Ergebnisse der beiden Studien nicht über einen Kamm scheren lassen und im Grunde auch kein Anspruch auf Allgemeingültigkeit besteht. Dafür sind die untersuchten Bedingungen zu speziell und die Menge an weiteren Einflussfaktoren einfach zu groß. Aber sie geben bei allem vorherigem Rätselraten und Mutmaßen einen ersten, tatsächlichen Eindruck über Sterblichkeitsraten bei Barschartigen, die mit der Angel in entsprechenden Tiefen gefangen und wieder zurückgesetzt wurden.
Ich selber konnte schon auf einem sehr hochwertigen Echolot beobachten, wie Trupps kleiner Barsche im Freiwasser aus annährend 10 Metern Tiefe bis unter das Boot folgten und auch noch bissen. Dieses Verhalten würden sie wohl kaum an den Tag legen, wenn es ihnen „Bauchschmerzen“ bereiten würde. Auf der anderen Seite hatten wir auch Zander und Barsche, die trotz Tiefen um lediglich 8-9 Metern klare Anzeichen von Trommelsucht aufwiesen. Andere berichten gar von Zandern, die um die 15 Meter Tiefenunterschied zurückgelegt haben sollen, weil sie dem Köder bis unters Boot folgten und dann auch noch bissen. Letztere stellen aber, sofern es denn auch so war, klare Ausnahmen dar!
Denkt einfach mal an eure eigenen Erfahrungen, aber behaltet dabei bitte immer im Hinterkopf, dass Fische, die vielleicht nur kleine äußere Auffälligkeiten, wie z.B. leichte „Glupschaugen“ aufwiesen, mit Gewissheit weitere innere Verletzungen erlitten haben. Und damit schon wieder fraglich ist, ob ein Zurücksetzen noch „waidgerecht“ war.
Ein für den Fisch wahrscheinlich sehr relevanter Faktor, eben im Hinblick auf den Druckausgleich, ist die Wassertemperatur bzw. damit einhergehend, seine Aktivität. Ein aktiver Fisch ist selten in nur einer Tiefe zu finden. Gerade weil unsere beiden Problemkinder bekanntlich Räuber sind, werden sie insbesondere in ihren Fressphasen, z.B. vom Grund, in höhere Wasserschichten aufsteigen und Nahrung suchen. Diese Aktivität hängt aber zu einem entscheidenden Anteil, natürlich mit der Wassertemperatur zusammen. Fische sind wechselwarme Tiere. Das heißt, ihre Körpertemperatur und damit ihre Stoffwechselaktivität hängen maßgeblich von der Temperatur ihres umgebenden Mediums ab.
So erklären sich mir auch zum Teil die Erfahrungen aus der Praxis. Die Barsche, von den ich eben berichtet habe, hatten wir im Spätsommer. Das Wasser war noch warm, ihr Stoffwechsel hoch, die Fische in Fresslaune. Wiederum waren die „flach“ gefangenen Zander und Barsche mit Symptomen, aus der kälteren Jahreszeit. Die Fische liegen jetzt die meiste Zeit am Grund und ihr Stoffwechsel hat sich stark verlangsamt. Ist die Stoffwechselaktivität gering, laufen auch die chemischen Prozesse im Fisch langsamer ab. So gewiss auch jene, die am bereits beschriebenen Gasausgleich beteiligt sind. Die Folge ist wahrscheinlich, dass der Organismus eines inaktiven Fisches länger braucht, um einen Druckausgleich a zu bewerkstelligen, als der eines aktiven Fisches.
Ob wir einen Fisch aus einer vermeintlich kritischen Tiefe zurücksetzen können, ohne das er Schaden nimmt, hängt also nicht immer von der Tiefe selbst ab, sondern auch von den äußeren Bedingungen.
Ich bin dementsprechend nicht in der Lage, euch eine Formel in die Hand zu drücken. Und auch die Frage, ob womöglich die Größe des Fisches noch eine Rolle spielt, kann ich euch leider nicht beantworten.
Zu meinen eigenen „Maßstäben“ nur so viel: Ob Symptome zu sehen sind oder nicht, wenn man einen Fisch in 12 Metern Tiefe fängt, sinken die Überlebenschancen bereits so stark, dass ich es für falsch halte, diesen Fisch noch zurückzusetzen. Und insbesondere aufgrund der zum Teil nicht ersichtlichen Schäden denke ich, dass es sinnvoll ist, bei 9-10m Fangtiefe langsam Schluss zu machen mit dem Zurücksetzen. Aber wenn ihr vor allem in der kalten Jahreszeit Fische fangt, egal ob auf 9 oder 19 Meter und sie haben irgendwelche Symptome – nehmt sie mit. Macht es den Anschein, oder können wir sogar sicher sein, dass der Fisch Schaden genommen hat (welcher in unserem Fallbeispiel der Trommelsucht durchaus irreparabel sein kann), dann sollten wir das Tier erlösen.
Ich möchte hier nicht nur mit erhobenem Finger stehen. Ich weiß selber, wie schwer man sich vielleicht tut, einem starken Barsch oder Zander eins über die Rübe zu hauen, im Wissen, dass dieser Fisch vielleicht 10 Jahre alt ist. Aber auch hier sollten wir keine unterschiedliche Wertung ansetzen. Egal ob dem 20er oder 40er Barsch die Augen rauskommen, wahrscheinlich wird keiner der beiden auch noch einen Zentimeter weiterwachsen, wenn ihr sie aus 15m zurücksetzt.
Anbei möchte ich mit meinen Überlegungen keine Catch & Release Debatte vom Zaun brechen. In wieweit das Zurücksetzen von Fischen an sich waidgerecht ist, darüber darf man streiten, soll aber nicht Gegenstand meiner Anregung sein.
Und bei all dem, was ich an Theorien und Fakten aufstelle, sei noch gesagt: Ich bin kein Biologe oder richtiger Wissenschaftler. Ich bin Angler. Das ist alles selbst angeeignetes Wissen, eigene Erfahrungen aus der Praxis und zum Teil daraus resultierende Schlussfolgerungen, die nicht immer richtig sein müssen. Aber ich versuche damit vor allem einen Anstoß zu geben, sich selbst ernsthaft mit dieser Thematik auseinander zu setzen! Ich habe oft das Gefühl, viele Angler verschließen die Augen vor diesem Thema, weil sie weiterhin ihr striktes C&R verfolgen wollen. Wurden dabei aber 20 kleine Zander gefangen und wieder zurückgesetzt, von denen es am Ende keiner schafft, dann wurde dem Bestand weit mehr geschadet als geholfen, wie gut der Wille auch war. Das mag schmerzlich sein, weil es heißen kann, dass man Gewässer, Methode oder schlicht die Tiefe anpassen muss, aber so ehrlich sollten wir uns und dem Geschöpf gegenüber sein.
Anbei die beiden Studien, auf die ich mich zum Teil beziehe:
http://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/02755947.2011.623759?redirect=1
http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1577/M09-013.1?journalCode=ujfm20
Solltet ihr euch damit näher auseinandersetzen wollen, werdet ihr feststellen, dass beide Studien eigentlich kostenpflichtig sind. In dem Fall schreibt mir einfach eine persönliche Nachricht, daran lässt sich was machen.
Ich wünsche euch viel Freude am Wasser!
Lucas